Hausarbeit zur Erlangung des Magistergrades
an der Philosophischen Fakultät für
Sprach- und Literaturwissenschaft II der
Ludwig-Maximilians-Universität München
im Fach
Neuere Deutsche Literatur
Die Beweis- und Redeziele des erotischen Diskurses im Film
"Die Jungfrauenmaschine" von Monika Treut (BRD 1988)
[mit Ergänzungsband: Filmprotokoll]
vorgelegt von:
Angela Stascheit
Landsberger Str. 135
8000 München 2
Hauptreferent: Prof. Dr. Klaus Kanzog
München, im Januar 1991
0. Einleitung
Der 'Plot' des Filmes "Die Jungfrauenmaschine" (BRD 1988)[1] wird von einem großen Teil der bundesdeutschen Filmkritik als 'lesbische coming-out-story' aufgefaßt.[2] So wirbt der Verleih Edition Manfred Salzgeber (Berlin) mit einem Poster für den Film, das das Liebesspiel Dorothee Müllers (Ina Blum) mit der "Therapeutin" Ramona (Shelly Mars) zeigt. Monika Treut, Autorin, Regisseurin und Produzentin[3] des Filmes, lehnt diese Interpretation ab:
Am Ende der Jungfrauenmaschine, wenn alle denken, hier wird das 'Hohe Lied' der lesbischen Liebe gesungen, ironisiere ich diese Ideologie auch noch ...[4]
Monika Treut bestreitet jegliche ideologische Intention:
Ich kritisiere gar nichts. Ich führe nur vor. Das unterscheidet die JUNGFRAUENMASCHINE von dem Unterhaltungsfilm, der via Geschichtchen meist eine Nutzanwendung und fast immer eine Weltanschauung mitliefert, meist eine apologetische.[5]
Eine Ursache dieses 'Dilemmas' zwischen Autorintention und Rezipientenreaktion ist in der eigenwilligen Gestaltung des Films zu suchen: Durch das den Film charakterisierende Montageprinzip werden 'traditionelle' narrative Strukturen aufgebrochen, die Chronologie der Ereignisse verwischt, einzelne Segmente enden im Fragmentarischen. Der zitathaft anmutende und in bezug auf die Handlung anachronistisch wirkende Duktus der Aussagen in einem ohnehin spracharmen Film macht Platz für mannigfaltig interpretierbare Bilder und schafft so einen weiten Assoziationsraum für die Zuschauer.
Um die eigenwillige Gestaltung in ihrer Konsistenz aufzuzeigen, wird in dieser Arbeit versucht, auf der methodischen
Basis von strukturaler Textanalyse und 'klassischer' Rhetorik die Argumentationsstruktur des Films "Die Jungfrauenmaschine" nachzuzeichnen, die Mittel der Argumentation zu benennen
und die Beweis- und Redezielen des erotischen Diskurses zu rekonstruieren.
Obwohl die Rhetorik mit dem Siegeszug des Strukturalismus in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance erlebt hat[6], blieb die konsequente Anwendung dieses neuen Ansatzes für den Film in der gegenwärtigen filmwissenschaftlichen Theoriebildung und darüber hinaus in
wissenschaftlichen Einzeluntersuchungen weitgehend aus. Es erschien mir deshalb notwendig, in einem ersten Kapitel theoretische Prämissen zu klären. Im Anschluß an sie schließt sich
als Hauptteil die Analyse des Filmes an. Die Ergebnisse werden in einem Schlußteil zusammengefaßt. Als zitierfähige Basis wurde ein Filmprotokoll angefertigt, das dieser Arbeit als
zweiter Band beiliegt.
1. Theoretische VorÜberlegungen
1.1. Rhetorik und strukturale Textanalyse
Objekt der strukturalen Textanalyse (sTA) können alle menschlichen Äußerungen sein, die als 'zeichenhaft' und 'bedeutungstragend' fungieren: normalsprachliche Texte der Alltagskommunikation; (...), Filme, Werbung; im Prinzip auch gestische oder mimische Äußerungen.[7]
Dieser erweiterte "Text"-Begriff, der davon ausgeht, daß an sich vor der sTA alle "Texte" (...) hinsichtlich des Anspruchs "auf dieselbe Behandlung, wie verschieden sie auch sein mögen"[8], gleich sind, ermöglicht es, den Film zu einem Untersuchungsgegenstand der Literaturkritik zu machen. Semiotiker[9] unterschiedlicher Provenienz und Aufgabenstellung gingen spätestens seit Mitte der 60er Jahre daran, "die wenn auch nicht in Verruf, so doch fast in Vergessenheit" geratene Rhetorik aus ihrem Schattendasein zu entlassen.[10] Es zeichnete sich nämlich immer mehr ab, daß die genuin auf die Wortsprache bezogene Rhetorik ein besonders zu berücksichtigendes Analyseinventar für die Untersuchung auch ikonischer Rede in sich birgt. Ausgezeichneter Untersuchungsgegenstand wurde zunächst das Reklamebild. Erstreckte sich "die klassische Rhetorik allein auf sprachliche Gegebenheiten"[11], so konnte Gui Bonsiepe überzeugend darlegen, daß diese verbale Rhetorik bereits "den Zugang zur visuellen Rhetorik" bereitet[12]. Gerade in der Reklame, in der die Allpräsenz moderner Massenmedien sich manifestiert[13], läßt sich eine enge Interaktion sprachlicher und nicht-sprachlicher Zeichen nachweisen, so daß es nun sinnvoll erschien, "nach typischen Bild/Wort-Kombinationen, nach typischen Zeichenrelationen, nach visuell/verbalen rhetorischen Figuren zu fragen"[14]. Unter Berufung auf das seinerzeit (1960) neu erschienene und dann zum Standardwerk avancierte "Handbuch der literarischen Rhetorik" von Heinrich Lausberg[15] grenzt Bonsiepe seinen Untersuchungsgegenstand auf die "sprachlich-stilistische Formulierung des geordneten Materials", also die Untersuchung der Mittel der elocutio ein. Indem Bonsiepe, "die Ergebisse der verbalen Rhetorik als Richtschnur nehmend, (...) Figuren herauspräpariert, die ausschließlich auf dem Zusammenspiel von Bild und Wort beruhen"[16], gelang ihm der veritable Nachweis von struktureller Ähnlichkeit, Vergleichbarkeit und Interferenz sprachlicher und visueller Elemente im Hinblick auf ihre stilbildenden Eigenschaften.
Darüber hinaus ging es Bonsiepe vor allem darum, die Rhetorik aus dem Vorurteil einer "dekorativen Zutat" herauszulösen und den orthodoxen Vertretern einer "gereinigten, eindeutigen Wissenschaftssprache" zu zeigen, "daß die systematische Vieldeutigkeit der sprachlichen Zeichen eine unvermeidliche Konsequenz der sprachlichen Kräfte und ein nicht zu missendes Mittel der menschlichen Kommunikation ist"[17] .
Bereits Roland Barthes - von Bonsiepe erwähnt - hatte in seinem Aufsatz "Rhetorik des Bildes"[18] auf der Basis grundsätzlicher Erörterungen über das Verhältnis von Sprache und Bild und über ihre Zeichenfunktion das "Reklamebild analysiert, weil 'in der Reklame diese Zeichen im Hinblick auf eine optimale Verständlichkeit gebildet sind' und daher leichter untersucht werden können"[19]. Im Rahmen allgemeiner Bemerkungen über die strukturale Funktion der Werke der Massenkommunikation erscheint die Rhetorik nach Barthes "als die signifikante Seite der Ideologie"[20], eine Auffassung, die mit der Umberto Ecos[21] korrespondiert. Beide versuchen das Verhältnis von Rhetorik und Ideologie in ikonischen Botschaften nicht nur präziser zu beschreiben, sondern ihr unterschwellig mitgeliefertes Kulturinventar nachzuweisen:
Die Semiotik arbeitet nicht daran, das Qualitative auf Quantitatives zu reduzieren, weil es für sie nicht nötig ist, zu jenem Grad der Analyse vorzuschreiten, jedoch reduziert sie das Kontinuierliche auf ein System von Differenzen und findet so jenseits der Vitalität den anzestralen und unmittelbaren Vorgang der Kultur, die die Denk- und Weltanschauungsweisen in Ausdrucksweisen systematisiert hat.[22]
Nach den Untersuchungen von Barthes und Bonsiepe waren es u.a. Umberto Eco und Ekkat Kaemmerling, die die rhetorische Fragestellung auf den Film ausweiteten. Zwar hatte die Semiotik zeigen können, daß sich die visuellen Codes als Untersuchungsgegenstand par excellence eignen, doch galt es, die dem Film eigentümlichen Momente - die Bewegung und den Ton - in den Diskurs einzubeziehen. Ekkat Kaemmerling hat in seinem Aufsatz "Rhetorik als Montage"[23] versucht, auf rein formaler Ebene das Inventar der rhetorischen Figurenlehre auf Montagephänomene zu übertragen. In einem ersten Schritt setzt er die rhetorischen Formen mit "linguistische[n] Montageformen, genauer syntaktikalische[n] Montageformen"[24] gleich, um dann die Rhetorik in eine systematische Syntaktik des Films zu integrieren[25]. Kaemmerling entwirft in diesem Zusammenhang eine Bausteintheorie[26], mit der sich die Einstellungen als filmästhetische Mittel auf verschiedenen Ebenen[27] funktionalisieren lassen. Diese Modelle, die am stummen Film entwickelt wurden, mögen durchaus auch für den Tonfilm einsetzbar sein. Allerdings muß Kaemmerlings Rekonstruktion der Montagestruktur in die entscheidende Wechselwirkung mit den in jedem Film nachweisbaren Argumentationsstrategien treten, d. h. auf ihre praktische Nutzbarkeit hin überprüft werden. Andernfalls erhebt sich - mit Hermann Barth[28] gesprochen - der Verdacht, daß Kaemmerling aufgrund seiner allzu formalen Bestimmungen das Vorurteil der Rhetorik als bloße Nomenklatur, gegen das schon Bonsiepe anlief, nicht zu entwerten vermag und "die von Barthes und Eco bereits formulierten Zugangsmöglichkeiten"[29] verstellt.
1.2. Hermann Barths Ansatz
Trotz der in den letzten beiden Jahrzehnten breit angelegten Forschungsbereiche konnte sich, wie Hermann Barth in seiner Dissertation (1990) konstatiert, eine konsequente Einbeziehung der Rhetorik (-forschung) "weder in die gegenwärtige filmwissenschaftliche Theoriebildung, noch in filmwissenschaftliche Einzeluntersuchungen" auf breiter Front durchsetzten.[30] In Anbetracht dieser Vernachlässigung kommt der Dissertation "Psychagogische Strategien des filmischen Diskurses (...)[31]" - auch im Hinblick auf die hier vorliegende Arbeit - ein besonderer Stellenwert zu. Barth greift auf das Inventar der klassischen Rhetorik zurück, weil der von ihm bevorzugte strukturalistische Ansatz das Problem der "Wirkungsfunktionen filmischer Zeichen" vernachlässigt.[32] Unterscheidet die Rhetorik doch immer schon "zwischen Überzeugung und Überredung, einem rational-argumentativen Sprachverhalten und Erkenntnisinteresse einerseits und einer mit allen Mitteln der Emotionslenkung operierenden, bewußt parteiischen Interessenvermittlung andererseits".[33]
1.2.1. Die Bedeutung der Argumentationsstruktur: Ihre Prämissen
Kernstück der Barth'schen Überlegungen bildet die Argumentationsstruktur. Neben der narrativen Struktur, neben der Erzählperspektive gehört für Barth ebenso "die argumentative Struktur eines Textes zur Textbedeutung, d. h., sie bildet eine logisch ableitbare, rekonstruierbare Ebene des Textes"[34]. Die Rekonstruktion der Argumentationsstruktur eines Textes heißt dann:
"in Kenntnis des Gesamttextes und daher a posteriori diejenigen (komplexen) Bedeutungseinheiten auf der syntagmatischen Achse zu bestimmen, denen im Hinblick auf das Redziel die Funktion von Beweiszielen bzw. Beweisen zukommt."[35]
Im folgenden wird nochmals rekapituliert, was zum notwendigen Inventar der Rekonstruktion der Argumentationsstruktur gehört: Barth entwickelt zunächst auf der Basis strukturalistischer Optionen ein Analyseinventar, das von der Gleichbehandlung sprachlicher und visueller Aussagen ausgeht. Mit Eco sind auch für Barth "aus der Kombination visueller Zeichen 'ikonische Aussagen' ableitbar"[36]: Alle ikonischen Zeichen sind "prinzipiell ikonische Aussagen, Seme[37], "d.h. etwas, was nicht einem Wort, sondern einer Aussage der Wortsprache entspricht"[38] - ein Ansatz, der mit Titzmann korrespondiert:
Nicht-sprachlichen "Texten" eine Bedeutung zuordnen, heißt, ihnen eine geordnete Menge von Propositionen, d. h. einen sprachlichen Text, zuordnen.[39]
Entsprechend beschreibt Barth einen Film "als eine Menge von Propositionen, die sich prinzipiell in einer Diskursanalyse repräsentieren lassen"[40]. Aus der Vielfalt der Propositionen werden solche von Relevanz selektiert[41]. Dabei läßt sich eine Hierarchie der Propositionen konstatieren, die eine "komplexe Proposition"[42] herleiten. Eco nennt solche komplexen Propositionen "Persuasionen" - erworbene Meinungen, die wiederum in sich geordnete Mengen von Propositionen enthalten[43]. Hinsichtlich der Redestrategie läßt sich ein qualitativer Unterschied zwischen "explizit ausgesprochenen und implizit[44]" vorausgesetzten bzw. "folgerbaren Propositionen von geäußerten Sätzen"[45] - also Persuasionen - "der Verbalsprache oder vergleichbaren nonverbalen Texteinheiten"[46] konstatieren, "die auf der Ebene der Argumentationsstruktur abhängig von ihrer syntagmatischen Situierung als Beweisziel oder Beweis fungieren"[47]. Argumentation ist somit "aufzufassen als die schrittweise explizite Erweiterung der Extension bestimmter, vom Text positiv bewerteter und zu Beginn implizit eingeführter Propositionen auf die Menge aller Figuren entlang der syntagmatischen Achse".[48]
Wenn wir so von Argumentation reden, dann befinden wir uns auf der textinternen Kommunikationsebene, d. h. auf der Ebene der Rede des visuell-verbalen Textes. Diese Ebene wird erst aktualisiert auf der Ebene der textexternen Kommunikation, d.h. auf der Ebene der Rede über den Film. In diesem Sinne ist dann auch die Markierung von Beweis- und Redeziele gegeben.
Diesen beiden Ebenen wird Barth in seinem auch "für andere Texte mit narrativen und/oder dramatischen Strukturen"
geltenden Kommunikationsmodell[49] gerecht, indem er zwischen einer äußeren und einer inneren
Kommunikationsebene unterscheidet, die sich jeweils nocheinmal in zwei Teile untergliedern. Zur textexternen Kommunikationsebene gehört einerseits das "an der Filmherstellung
beteiligte Herstellungskollektiv"[50] (empirischer Autor - empirische Rede - empirischer
Adressat), also Drehbuchautor/-in, Regisseur/-in, Kameramann/-frau etc. sowie die tatsächlichen Rezipienten, deren Reaktionen in Rezensionen etc. deutlich wird; dem empirischen Text
entspricht die von ihnen aktualisierte Textbedeutung. Weiterhin gehört dazu ein theoretisches Konstrukt (idealer Autor - ideale Rede - idealer Rezipient)[51]: Eine "den Regeln strukturaler Textanalyse verpflichtete Rekonstruktion der Textbedeutung"[52] unter Einbeziehung von "Kultur, Konvention, System, Code und damit Ideologie"[53] - die auch dort vorliegt, "wo wir vitale Spontaneität vermuten"[54] - stellt den idealen Text. Der ideale Text ist nun die Basis dafür, um dem idealen Autor eine ideale
Intention und entsprechend dem idealen Rezipienten eine ideale Rezeption zusprechen zu können.
Zur inneren Kommunikationsebene gehören zum einen der fiktive Autor - fiktive Text - fiktive Rezipient als "textinterne Sprechsituation erster Stufe"[55] und zum zweiten die Figurenkommunikation (Figur -Text - Figur) als textinterne Kommunikation zweiter bis
n-ter Stufe.[56] Der fiktive Autor entspricht der "Erzählinstanz".[57] Sie muß nicht explizit, also z.B. als Off-Sprecher personifiziert, in Erscheinung treten, sondern kann sich
auch in der Kamerahandlung, auf der Tonebene oder in Inserts etc. manifestieren.[58] Der fiktive
Adressat "kann implizit über Sprecherformulierungen, über die Kamerahandlung usw. repräsentiert sein".[59] Somit besteht der fiktive Text aus der Teilmenge des Textes, die die eben definierten Eigenschaften von Autor und Adressat betreffen.
Die textinterne, innere Kommunikationsebene zweiter Stufe umfaßt die Kommunikation von Figuren zu einem definierten Zeitpunkt. Die dritte bis n-te Stufe umfaßt die Figurenkommunikation
zu einem von diesem definierten Zeitpunkt abweichenden Zeitpunkt.[60]
Die oben erwähnte empirische Kommunikationsebene wird in meiner Untersuchung weitestgehend ausgeschaltet, da entsprechende Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind: Zum einen konnte bei meinen Recherchen kein Drehbuch als existent nachgewiesen werden[61], zum anderen weigerte sich die Autorin, Regisseurin und Produzentin Dr. phil. Monika Treut auch dort eine Stellungnahme abzugeben, wo sie gewiß notwendig gewesen wäre.
Im Rahmen seiner theoretischen Überlegungen sondiert Hermann Barth aus der verwirrenden Vielfalt der klassischen Rhetorik konsequent jene Aspekte, die seinem Anliegen dienen, den Nachweis psychagogischer Strategien, der emotional-affektiven und rationalen Argumentation, aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang kann Barth auch nachweisen, daß der rhetorischen Teildisziplin dispositio[62] bereits von der klassischen Rhetorik zugesprochene Grundfunktion der Aufteilung, die jeder Argumentation in ihrer Komplexität und Spannweite inhärent ist, ebenfalls in der Filmanalyse ein besonderer Stellenwert zukommt.
Selbstverständlich ist die disposito auch in dem in dieser Arbeit vorgestellten Film nur ein erstes, wenn auch wichtiges formales Ordnungskriterium. Dieses kann immer nur in Korrelation mit weiteren - in der Analyse noch deutlich zu machenden - rhetorischen Implikaten die Argumentation entfalten und so deren Beweis- und Redeziele transportieren.
2. Analyse des Films: Die Rede über die Liebe
2.1. Der Redeanfang: prooemium und insinuatio
Der Redeanfang gliedert sich in zwei Teile: 1. prooemium (Einleitung), 2. insinuatio (Einschmeichelung). Der Redeanfang hat 1. die Aufgabe der Informationsvergabe, die die Handlung in einen bestimmten Kontext bettet und so einen ersten Orientierungsrahmen bildet, und 2. die Aufgabe der emotionalen Beeinflussung der Zuschauer: Sie sollen die besprochene Sache aus dem selben 'Blickwinkel' wie die beweisführende Partei sehen.
Die Rhetorik setzt ein grundsätzliches taedium (Desinteresse) des Publikums am behandelten Gegenstand voraus. Diesem gilt es mittels attentum parare (Erlangen der Aufmerksamkeit) entgegenzuwirken (movere). So soll die Aufnahmebereitschaft des Publikums durch das docilem parare (Erwecken der Gelehrigkeit) erwirkt werden (prodesse). Diese "Aufnahmebereitschaft wird durch eine knappe, sachliche Ankündigung (propositio) und >>Vorschau<< für die Rede erzielt"[63]. Weiterhin beschreibt der Begriff der captatio benevolentiae (Erlangen des Wohlwollens) die Aufgabe der Einleitung, beim Publikum einen Zustand von Geneigtheit zu evozieren (delectare). Bei dieser Evokation geht es darum, sich selbst als Autor/-in in den Kontext allgemein akzeptierter und für gut befundener Werte zu stellen, sich so den Anschein des vir bonus (guten 'Menschen') zu geben und damit zu signalisieren, im Dienst der 'guten Sache' zu sprechen.
2.1.1. Filmtitel - monochromes Filmmaterial - Vorspann
Die erste Information, die die Zuschauer bereits vor Beginn der eigentlichen Rezeption des Films erhalten, ist sein Titel und eventuell das Wissen, daß es sich bei der Regisseurin um Monika Treut handelt, die zusammen mit der Kamerafrau Elfie Mikesch auch für den kontrovers diskutierten Film "Verführung - Die grausame Frau" (BRD 1985) verantwortlich zeichnet. Der Titel des Filmes, "Die Jungfrauenmaschine", ist als Kasuskomposition semantisch ambivalent. Das Verhältnis der beiden Substantive kann interpretiert werden als:
1. Objektrelation: "Maschine, die Jungfrauen herstellt".
1.1. umgekehrte Objektrelation/Ursprungsrelation: "Maschine, die von Jungfrauen hergestellt wird".
1.2. instrumentale Objektrelation: "Maschine, die Jungfrauen benutzen".
2. Possessivrelation: "Maschine, die Jungfrauen gehört".
Als Neologismus und Verkettung zweier semantisch paradoxer Komponenten mit erotischer Implikation dient der Titel dem attentum parare. Nahe liegt die Assoziation zur kunstgeschichtlichen Tradition der "Junggesellenmaschinen"[64]. So verspricht der Titel, diesem spezifisch 'männlichen' Konzept ein 'weibliches' gegenüberzustellen (docilem parare). Unter dieser Voraussetzung kann der Titel bereits als signum für die argumentatorische Position des 'empirischen Autors' gesehen werden[65].
Die nächste Information, die die Zuschauer bekommen, ist technischer Art: Es handelt sich um einen Schwarz-Weiß-Film. Da die gezeigten Zeichen (Computer, etc.) aber ausschließen, daß es sich um einen älteren Film handelt, heißt das Signal zunächst einmal: 'gegen die Konvention', denn ökonomische Gesichtspunkte sind ausgeschlossen: Das monochrome Filmmaterial ist nicht preiswerter als farbiges. Nahe liegen Assoziationen zum 'film noir', die eine Erwartung z.B. auf eine kritische Haltung zu dessen Frauenbild wecken, oder zu neueren Filmen wie zum Beispiel zu dem Road-Movie "Down by Law" von Jim Jarmusch, die die Erwartung auf eine eigenständige Ästhetik evozieren (docilem parare).
'Cinephilen' Zuschauerinnen und Zuschauern dienen die Angaben des aufkopierten Vorspanns als weiterer Orientierungsrahmen. Dem deutschen Publikum dürfte Ina Blum, die Darstellerin der Dorothee Müller, noch aus Rosa von Praunheim-Filmen, Peter Kern nicht nur als Regisseur, sondern auch als Schauspieler, Gad Klein als Filmkritiker u.a. für die Zeitschrift "Der Spiegel" bekannt sein; das amerikanische Publikum kennt Susie [Sexpert] Bright als Filmkritikerin der amerikanischen Ausgabe des 'Penthouse'[66]. Dieses 'Insiderwissen' unterstützt die Erwartung nach einem thematisch wie formal 'unkonventionellen' Film.
2.2.1. Prooemium mit propositio: Der Mann im Hof
Die erste Einstellung des Films zeigt eine junge Frau (Dorothee Müller), die ein Büro betritt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in ihm zurechtfindet, läßt darauf schließen, daß es ihr eigenes Büro ist. Dieses wirkt in seiner Einrichtung zwar provisorisch, doch fehlen die üblichen modernen Kommunikationsmittel nicht: Computer, Telefon und Diktiergerät. In Opposition zur Sachlichkeit und Professionalität dieser modernen Medien steht das 'Outfit' der jungen Frau, das spezifisch 'weibliche' Zeichen setzt. Sie trägt Pumps und ein helles Sommerkleid im Stil der 50er Jahre.
Es wird sehr schnell deutlich, daß die junge Frau zu einer 'Recherche' aufbricht. In Eile greift sie zu dem Diktiergerät und packt ein Buch mit der Aufschrift "C. G. Jung"[67] ein. Die an der Wand hängende Photographie eines Embryos verweist bereits hier auf einen thematischen Aspekt der Recherche: Reproduktion und Physiologie.
Ist die Rede der Figurenebene deiktisch, so kommentiert der 'fiktive Autor' das Geschehen: Er karrikiert die Figur der Dorothee Müller, indem er inhomogene, sich gegenseitig widersprechende Zeichen einführt und auf die Person der Dorothee Müller bezieht (ridiculum[68]). Die 'Modernität' der Kommunikationsmittel steht in Kontrast zur anachronistisch wirkenden Kleidung. Dorothee Müller wird vorgestellt als eine Frau, die die Diskrepanz von moderner Arbeitswelt und tradiertem Frauenbild verkörpert.
Einem (übergeworfener) Trenchcoat, der untermauert, daß Dorothee Müller zu einer Recherche aufbricht, kommt eine ironische[69] Note zu, indem er nämlich dem Genre des Detektivfilms entstammt und damit einen unpassenden, weil unverhältnismäßig übertreibenden Vergleich nahelegt (delectare durch ridiculum).
Es gilt also hier:
'Modernität' vs. 'Tradition'
Anspruch vs. Sein
Selbstbild vs. Wirkung
Arbeit vs. Ausbildung/Erziehung
[Schema 1]
Die junge Frau verläßt das hochgelegene Büro und steigt eine Treppe hinunter. Die am Boden positionierte Kamera läßt die Beine der jungen Frau ins Bild steigen. Die mise en scène bringt ein weiteres erotisches Signal: Der jungen Frau rutscht der Ärmel ihres Kleides hinunter; dies gibt die Schulter und das Décolleté frei; sie blickt kurz nach rechts und streift den Ärmel schnell wieder hoch. Die folgende Einstellung zeigt einen Mann, der von rechts nach links blickt. Der kurze Blick der jungen Frau nach rechts galt nach den point of view-Regeln[70] diesem Mann, der Mann muß also die junge Frau seit ihrem Erscheinen auf der Treppe beobachtet haben. Sie war das Objekt sowohl seines Blickes als auch des des Publikums bzw. der Kamera.
Der Mann, der nach dem gängigen Ideal nicht besonders 'schön' oder 'sympathisch' erscheint, erhebt sich, die Kamera folgt dieser Bewegung nicht. So kommt in einer fragmentierten 'amerikanischen' Einstellung allein der Schoß des Mannes ins Bild. Die Bierflasche, die er in Hüfthöhe hält, bekommt so die Konnotation eines Phallus. Die Verbindung von 'amerikanischer' Einstellung, die im Genre des Westerns und Italo-Westerns für Situationen des Zweikampfes eingeführt wurde, mit dem 'Phallussymbol' erweckt die Assoziation des 'Geschlechterkampfes'. Auch diese Situation wird durch die Substitution des 'Phallussymbols' 'Colt' durch die 'Bierflasche', die immer auch Assoziationen zu nieder bewerteten, nicht-heldenhaften sozialen Merkmalen weckt, kritisch gebrochen.
Der Mann ruft der Frau eine Sentenz, die sich nicht nur durch einen Reim, sondern auch durch obscuritas (vgl. HB § 214) auszeichnet, nach: "Liebe ist für viele Schafe schwerer als die schwerste Strafe". Der Mann scheint die Frau also zu kennen. Für die Zuschauer aber bleibt das Verhältnis der beiden Figuren unklar, das Figurenwissen ist größer als das Zuschauerwissen. Der Mann erhält keine Antwort, die Kommunikation, sofern überhaupt eine solche angestrebt war und es nicht nur um die bloße Demonstration von Macht ging, findet nicht auf verbaler Ebene statt. Der Aspekt 'Geschlechterkampf' wird jetzt präzisiert zu 'Bedrohung der Frau durch den Mann'; der vorher eingeführte Gesichtspunkt 'Eile' wandelt sich in diesem Zusammenhang zu 'Flucht': Als die junge Frau den Hof schnell verläßt, wird sie von einem Jungen, der über sein Geschlecht hinaus auch durch seine räumliche Positionierung zum Gebiet der Männer zuzuordnen ist, bis zur Grenze Straße 'verfolgt'.
Das prooemium zeichnet sich durch eine zunehmende Emotionalisierung aus. Die 'harmlose' junge Frau gerät in die Lage des 'bedrohten Opfers'. So wird also unter Bezugnahme auf einen allgemeingültigen ethischen Wert erwirkt, Position für die Frau zu beziehen und den Mann als 'Aggressor' zu verurteilen. Die minimale Handlungsstruktur evoziert 'Spannung' hinsichtlich des weiteren Verlaufes der Handlung, das attentum parare wird dadurch sichergestellt.
Ambivalent wird die rhetorische Forderung nach Parteilichkeit einmal durch die Gleichsetzung der Perspektive des Mannes mit der Perspektive der Zuschauer, dann auch durch die partielle Negativzeichnung der Figur Dorothee Müller (ridiculum), die eben nicht als 'positive Heldin' oder vir bonus gezeichnet wird. Hier wird der erotische Diskurs, der momentan eine sozialkritische Position vertritt, auf einer Metaebene in einem erzähltheoretischen und cinematographischen Diskurs reflektiert, der sowohl Identifikationsmechanismen ('Schwarz-Weiß-Malerei'[71]) als auch Sehweisen (Mann/ Zuschauer als sehendes Subjekt, Frau als zur Schau gestelltes Objekt) problematisiert. Argumentiert wird also gegen diese Konvention. Auf dieser 'Metaebene' bemüht sich der 'ideale Autor' mit 'intellektuellen Spielereien' um die Geneigtheit des 'idealen Publikums'. Diese mit dem eigentlichen Verhandlungsgegenstand nicht in Verbindung stehenden Aspekte sollen mittels dissimulatio (HB § 902) über das attentum parare und docilem parare einen Weg zur Aufnahme der folgenden materia im genus turpe (HB § 64.3) ebnen.
2.2.1.1. Propositio: "Liebe ist für viele Schafe schwerer als die schwerste Strafe!"
Die propositio in Form einer vieldeutigen Sentenz gibt sich den Anschein von auctoritas (HB § 426), sie dient dem docilem parare. Die semantische Vieldeutigkeit (obscuritas, vgl. HB § 528-537) verstößt gegen das Gebot der perspicuitas, diese Lizenz ermöglicht den Zuschauern jedoch eigene Assoziationen.
In der Sentenz des Mannes wird das zentrale Beweisziel vorangestellt: Explizit angesprochen wird die 'Liebe', die als 'Naivität' ("Schafe"), zu einer "Strafe" oder 'Buße' schwersten Ausmaßes führt.
Weil der Mann in seinem sexuellen Begehren - die Bierflasche bezeichnet den aufgerichteten Phallus - von Dorothee Müller abgelehnt wird, wird seine Aussage zu einer Drohgebärde. Indem es der Mann ist, der der Frau diese höhnischen Worte nachruft, reiht er sie ein in eine Herde von willfährigen Opferlämmern, Frauen, deren Blindheit gestraft wird mit einer radikalen Desillusionierung der Möglichkeit von Liebe überhaupt.
Es gilt hier:
Mann vs. Frau
Liebe vs. Strafe/Leiden
Sexualität vs. keine Sexualität
Bedrohung vs. Flucht
Aggressivität vs. Nicht-Aggressivität
körperliche Interessen vs. geistige Interessen
Müßiggang vs. Arbeit
Realität vs. Naivität
aktiv vs. passiv
Außenraum vs. Innenraum
[Schema 2]
Eine weitere Opposition ergibt sich aus der Aufeinanderfolge der Teilsequenz 'Büro' und der darauffolgenden Teilsequenz 'Hof':
technische vs. Scheitern der
Kommunikationsmittel realen Kommunikation
[Schema 3]
Unter der Voraussetzung 'Leiden' und 'Naivität' als negative Implikationen und die Aussage des Mannes als Vorwurf gegen die Geisteshaltung Dorothee Müllers zu werten, ergäbe sich als propositio die Forderung, ein bislang nicht näher charakterisiertes Verständnis von 'Liebe' durch 'Lust' zu ersetzen und dadurch den defizitären Zustand des 'Leidens' in den befriedigenden von 'Glück' zu verwandeln, ein Aspekt, der im zweiten Teil des Filmes "Amerika" explizit ausgedrückt wird und das zentrales Beweisziel bildet.
Suggeriert der Filmtitel (und die weitere Argumentation) eine spezifisch 'weibliche' Position, so erstaunt es, daß die propositio in den Mund eines Mannes, der zudem 'unsympathisch' gezeichnet ist, gelegt ist. Der Mann wäre unter dieser Voraussetzung der Normmächtige der Figuren-ebene.
2.3. insinuatio mit partitio (loci, quaestio finita, quaestio infinita): Die Sehnsucht nach der Idylle
Die zweite Sequenz steht weder in zeitlicher noch in räumlicher Folge zum prooemium. Eine Kontinuität der Handlung wird suggeriert durch die weiterlaufenden, aufkopierten Titel und einen Musikeinsatz[72], der bereits im prooemium beginnt, der insinuatio (TC 0:00:52-0:03:14) unterlegt ist und später leitmotivisch wieder aufgenommen wird. Das langsame Tempo, die dunkle Stimme, die Bevorzugung und Dehnung 'dunkler' Vokale machen die Musik zur Mimesis (vgl. HB § 1162) eines sehnsüchtig-leidenden Gefühlszustandes, der sich den Rezipienten mitteilt[73]. Da es sich um eine Sängerin und nicht um einen Sänger handelt, liegt es nahe, diesen Gefühlszustand auf Dorothee Müller zu übertragen. Der Text der Sängerin enthält einige Schlüsselworte: Die Wörter "amar" und "morir" greifen zwei Aspekte der propositio wieder auf: die Liebe und das Leiden. Auf der Musikebene gilt die Proposition: 'romantische' Liebe = Leiden'.
In Kontrast zu dem Leidensdiskurs zeigt die mise en scène als locus amoenus[74] (schönen Ort/Idyll) einen See. Dort läßt die junge Frau sich von einem jungen Mann umherrudern. Dieser bildet in seinem Äußeren das Gegenstück zu dem Mann des prooemium. Im Gegensatz zu jenem verfügt er über alle Attribute, die ihn als 'attraktiv' gelten lassen können; er entspricht der Stereotype des 'Latin Lovers', jenem südländischen, glutäugigen Gondoliere, der seit den 50er Jahren deutsche Frauen das Träumen lehrt. Wird bei dem Mann des prooemium der Unterkörper visuell betont, so ist es hier der muskulöse Oberkörper, sexuelle Implikationen werden hinter dem Bild des starken Beschützers verdeckt. Das Paar im Boot vermittelt in seiner traditionellen Rollenzuweisung zunächst den Eindruck von Harmonie, die sich aber recht schnell als trügerisch erweist: Die junge Frau ist 'nicht bei der Sache'. Sie sucht keinen Blickkontakt mit ihrem 'Gondoliere', der seinen Körper mittels Goldkettchen und Tätowierung zur Schau stellt und sicherlich mehr im Sinn hatte als eine 'dröge' Bootspartie auf dem Stadtsee. Vielmehr richtet sich ihr umherschweifender Blick auf das die Szene begrenzende Ambiente: den Stadtpark.
In den folgenden Einstellungen erfährt diese Optik ihre Erweiterung auf verschiedenen Ebenen, in verschiedene Richtungen: räumlich - dafür steht das Fernglas -, zeitlich - mit dem 'inneren Auge' - in die Vergangenheit, wofür Buch und Off-Kommentar signifikant sind.
Der Off-Monolog greift den Liebes- als Leidensdiskurs wieder auf, distanziert sich aber durch die Vergangenheitsform und die inhaltliche Bewertung davon. Zunächst stellt die junge Frau sich namentlich als Dorothee Müller vor. Damit erklärt sie sich zur autorisierten Erzählerin ihrer Geschichte, die sie somit in freimütig bis in die intimsten Facetten ihrer Vergangenheit rekapituliern kann.
Dorothee Müller charakterisiert sich als auctor ("Täter"). Gleichzeitig nimmt sie die Position eines orators ("Autors") ein. Diese Begriffe der Rhetorik berühren die Inhalte der erzähltheoretischen Termini "Protagonist" und "Ich-Erzähler" in der Unterscheidung zwischen Handlung und Erzählhaltung. Im judizialen Genus der Rhetorik bezeichnet auctor denjenigen, der ein factum, also eine Tat, ausgeführt hat. An diese Tat, die im judizialen Genus, klassisch also in der Gerichtsrede, verhandelt wird, schließen sich im rhetorischen System verschiedene Fragen zur Klärung der Situation an. Der Off-Monolog der Dorothee Müller formuliert Aspekte der quaestio finita, der "konkret-individuell-praktische[n]" Situationsfrage (vgl. HB §§ 66 ff.), der "konkrete[n] Rechtssache, konkrete[n] Frage, um die ein Prozeß geführt wird" (HB § 73).
Die zur Verhandlung stehende 'Tat' der Dorothee Müller besteht darin, daß sie an die "romantische Liebe" glaubte und entsprechend handelte. Der 'Tatort' wird in Hamburg situiert. In zwei concessiones gibt sie die "Tat" zu: "Ich glaubte an die große Liebe" (E 12 TC 0:02:09 ff.) und "Ich habe ja auch soviel geträumt. Von einer romantischen Liebe." (E 14 f. TC 0:02:35 ff.) und leitet so in den status qualitatis (feci, sed iure) über. Die "große Liebe" wird in einem locus a multiplici appellatione synonym gesetzt mit "romantischer Liebe", "fantastische[r] Illusion" und "Krankheit". Dieser Gefühlszustand hat Ursachen (Motive) und Wirkungen (Indizien). Eine der Ursachen ist das 'Alleinsein', ein defizitärer Zustand: "weil es mit Heinz einfach nicht mehr klappen wollte" ... "daß ich mich dann" - nachdem die Mutter nach Amerika gegangen war - in Bruno verlieben mußte" (vgl. E 12 ff.).
Dorothee Müller deutet an, bei der "Krankheit" 'romantische Liebe' könne es sich um eine Frauen- oder Erbkrankheit handeln: "Meine Mutter hat sie auch schon gehabt" (vgl. E 15) und appelliert mit einem 'Zustand minderer Schuldfähigkeit' an die Normmächtigen des äußeren Kommunikationssystems. Es bleibt offen, ob ihre Mutter von dieser 'Krankheit geheilt' wurde, weil sie nach Amerika ging. Die Symptome der 'romantischen Liebe' allerdings treffen Mann und Frau: Heinz durch 'Dickwerden', Dorothee durch 'Träumen', beide durch 'sexuelle Nicht-Erfüllung', Dorothees Mutter durch 'aufgelöstes Haar'.
Dorothee Müller hatte den Zustand einer 'romantischen' Liebe zu einem früheren Zeitpunkt mit Heinz bereits erlebt. Diese Liebe ist gescheitert. Es besteht ein Unterschied zwischen dem Wunsch oder Bedürfnis nach 'romantischer Liebe' und der Lebenspraxis. Die 'romantische' Liebe entpuppt sich als 'Leiden', sobald sie konkret realisiert wird, sie wird in das Reich der Utopie verwiesen. Als größter Antagonist der erfüllten 'romantischen' Liebe erweist sich hier die Arbeit: "Vielleicht, weil wir zuviel zusammen arbeiten mußten" (E 13.b.).
Es gilt hier:
'romantische' Liebe vs. andere Liebesformen
Glaube/Wunsch vs. Realität
(Nicht-Arbeit) Harmonie vs. Arbeit (Disharmonie)
Zweisamkeit vs. Einsamkeit
Illusion vs. Realität
Erfüllung vs. Defizit
(Amerika vs. Hamburg/Deutschland)
[Schema 4]
Dieser Konflikt wird bei genauerer Betrachtung der filmischen Deixis und der mise en scène manifest: Der Topos des locus amoenus wird einmal durch die Substitution des Flusses durch den See und die Hinzufügung des Denkmals in einen romantischen (im Sinn der Epoche) Kontext gesetzt und gleichzeitig auf Bildebene durch die Zeichen Sommerkleid, Sonnenhut und 'Latin Lover' mit den 50er Jahren in Bezug gebracht und so mit der Erlebniswelt der im Off-Kommentar erwähnten Mutter gleichgesetzt.
Die historische Bedeutung des locus amoenus charakterisiert Wackwitz folgendermaßen:
Damit ist die Idylle ein Gegenbild zur gesellschaftlichen Praxis.] Seit Vergils Eklogen bis zur Gattungspoetik um 1800 ist ein eskapistisches Moment der Idylle eigen; in dieser Gattung sind die Widersprüche der Gesellschaft poetisch versöhnt. (...) Die Idylle ist diejenige Gattung, die eine "ideale Verschönerung" der gegenwärtigen Gesellschaftlichkeit darstellt und in der die "bürgerliche Gesellschaft mit all ihren drückenden Verhältnissen schwindet.[75]
Der eskapistische Versuch der Dorothee Müller, die "bürgerliche Gesellschaft mit all ihren drückenden Verhältnissen" entschwinden zu lassen, wird jedoch durch die filmische Umsetzung von selbst ad absurdum geführt. Der locus amoenus, der auf den ersten Blick wie ein ironisch gemeintes Klischee erscheint, stellt sich im Verlauf des Films als das heraus, was ihm als Metapher (HB §§ 558 ff.) der 'romantischen' Liebeskonzeption eigentümlich ist: Er ist Utopia, ein 'Land, das nirgends ist'. Entsprechend kann Dorothee Müller ihn nicht finden, auch wenn sie weiterhin nach ihm Ausschau hält, und meint, ihn in dem am Seeufer unter Bäumen ein Schäferstündchen haltenden Liebespaar sehen zu können. Dieses Liebespaar wird mittels Bild-Ton-Kombination mit der Mutter in Verbindung gebracht. Hier greift Dorothee Müllers Reaktion, das Lachen und das folgende Absetzen des Fernglases, den Diskurs ihrer Off-Rede auf, der die Handlung in eine Vorzeitigkeit versetzt und die 'romantische' Liebe bereits als "Traum" und "Illusion" entlarvt hat. Die gesamte Argumentation dreht sich wie das Ruderboot im Kreis.
Die Sequenz endet damit, daß Dorothee Müller im Off-Kommentar die quaestio finita in einem locus a minore ad maius (HB § 396) in eine quaestio infinita überleitet und als Beweisziel vorgibt: "Auf jeden Fall wollte ich wissen, was das ist: Liebe." Die quaestio infinita wird so in den status a multiplici appellatione überführt. Auf der Figurenebene wird die Erweiterung der quaestio finita durch Dorothee Müllers Vorhaben, eine Reportage über die romantische Liebe zu verfassen, motiviert.
2.3.1.
Exkurs: Die Beweisziele
des ersten Teils -
Deutschland: Die Rede über die Männer
Eingeführt werden mit dieser Sequenz also verschiedene 'loci' (vgl. HB § 373-399), die im weiteren Verlauf des Filmes zu Argumenten ausgebaut werden. Folgende Oppositionen werden aufgebaut:
Utopie/Ideal/Traum/Illusion vs. Realität
'romantische' Liebe vs. andere Liebesformen
'romantische' Liebe vs. Arbeit
Idylle/Harmonie vs. bürgerliche Normen
unerfüllte Sexualität vs. erfüllte Sexualität
Wunsch nach Glück/Erfüllung vs. Erleben von Unglück/Nicht-Erfüllung
Tradition vs. Modernität
[Schema 5]
Die aus den bis hierhin eingeführten loci sich erschließenden Propositionen ergeben mehrere semantische Felder, die an dieser Stelle zusammengefaßt werden sollen:
Die Begriffe 'romantische Liebe', 'Traum', 'Illusion', 'Wunsch', 'Utopie', 'Tradition', etc. sollen unter den Begriff 'ideale Liebe' subsumiert werden. Der 'idealen Liebeskonzeption' untergeordnet sei als Manifestation dieses Zustandes der Begriff 'Glück', unter den seine Synonyme 'Harmonie', 'Gesundheit', 'Befriedigung', etc. fallen.
Verhandelt wird im status qualitatis (HB §§ 171-194), genauer im legum contrariae status (HB §§ 218-220) auf der Basis eines 'bürgerlichen' Normkonfliktes:
Wunsch nach Utopie vs. Anforderungen der
Realität
Wunsch nach Glück vs. Erleben von Unglück
[Schema 6]
Gefragt wird nach der lex potentior (HB ebd.).
Hinzu kommt die im prooemium ausgeführte Proposition:
Frau vs. Mann
mit den zugeordneten Eigenschaften
passiv/permissiv vs. aktiv/aggressiv
keine Sexualität vs. Sexualität
[Schema 7]
Die parteiische Rede funktionalisiert Redeteile zur Darlegung der eigenen Meinung (probatio) und andere Redeteile zur Zurückweisung der gegnerischen Meinung (refutatio). Beide Redeteile können sich derselben rhetorischen Mittel bedienen.
Als Beispiel für die probatio sei die negativ gezeichnete Figur des Mannes des prooemium gegeben, für die gilt: 'Männer sind aggressiv'/ häßlich/ unsympathisch, etc.';
Als Beispiel für die refutatio sei die positiv gezeichnete Figur des Ruderers in der insinuatio gegeben, für die gilt: 'Männer sind nicht aggressiv/ häßlich/ unsympathisch, etc.'
Die loci sind also Suchformeln und in ihrer Gesamtheit ein Gedanken-Reservoir, aus dem die passenden Gedanken ausgewählt werden können. Die argumentorum loci sind von beiden Parteien nach Maßgabe der Partei-Utilitas (...) ausschöpfbar. Die Ausschöpfung der argumentorum loci ist außerdem in zwei konzentrischen Kreisen möglich: im engeren Kreis der quaestio finita (...) und im weiteren Kreis der quaestio infinita (HB § 373).
Die insinuatio gibt eine partitio (vgl. HB § 311.1.) der im ersten Teil des Filmes (Deutschland TC 0:00:00-0:31:29) verhandelten quaestio finita. Hier wird vorgegeben, Dorothee Müller fehle der adäquate Partner für die 'romantische Liebe'. Zur Disposition stehen Heinz oder Bruno. Bekannt ist aber bereits, daß keiner der beiden das Ideal erfüllt.
Eingeführt wird bereits hier der zentrale Ordnungssatz:
'Die 'ideale Liebe' ist eine Utopie und als solche per se zum Scheitern verurteilt. Wer dennoch daran glaubt und versucht, die Utopie in die Realität umzusetzen, muß leiden bis zur Preisgabe an die Lächerlichkeit.'
Es seien folgende Beweisziele für den ersten Teil des Filmes (Deutschland TC 0:00:00-0:31:29) formuliert:
Beweisziel auf Figurenebene:
semantische Klärung des Begriffs 'Liebe'
Beweisziel der quaestio finita ('fiktiver Autor'):
Dorothee Müller findet keine ideale Liebe in einer Beziehung mit einem Mann.
zentrales Beweisziel/Redeziel der quaestio infinita ('idealer Autor')[76]:
'Liebe' ist das Konstrukt einer bürgerlich-patriarchalisch genormten Gesellschaft, die sich durch die Unterdrückung der Frau erhält; heterosexuelle Beziehungen sind nicht dazu geschaffen, Frauen glücklich zu machen.
Ein 'zumutbares' Beweisziel wird explizit ausgesprochen: die semantische Klärung des Begriffs 'Liebe'. Die semantische Klärung des Begriffes Liebe führt zur quaestio infinita. Die Übertragung der Aussagen der quaestio infinita auf die quaestio finita wird nicht explizit formuliert, sondern den Zuschauern anheimgestellt.
Entsprechend besteht die Strategie des Films in einer impliziten Argumentation, denn sein Redegegenstand ist ein dubium:
Ist der Redegegenstand ein dubium, so wird der Zuschauer als Entscheidungsfäller angesprochen, wobei der Redner als >Partei< auftritt und den Entscheidungsfäller für seine Partei durch eine parteiische Rede zu gewinnen sucht. (HB § 59.2.)
Nicht nur die insinuatio, sondern der gesamte erste Teil des Films bedient sich der "Verheimlichung der eigenen Meinung" (dissimulatio, vgl. HB § 902.1.) und der "positiven Vortäuschung einer eigenen, mit der Gegenpartei übereinstimmenden Meinung" (simulatio, vgl. HB § 902.2.). Hiermit soll sichergestellt werden, nicht gegen das äußere aptum zu verstoßen, d.h. ein im Kontext der textexternen Kommunikationsebene als 'Zumutung' geltendes Beweisziel (genus turpe) zu formulieren und die Rezipienten also 'abzuschrecken'.
Die Argumentation der folgenden narrationes bedient sich derselben Strategie wie im prooemium und in der insinuatio: Die quaestio infinita vertritt die Position der probatio, indem sie in Kontrastierung mit der quaestio finita das unterschwellig mitgelieferte, von Dorothee Müller internalisierte Kulturinventar aufzeigt[77].
2.4.. Erste narratio
Die narratio ist nach Lausberg "parteiisch-vereindringlichende Detaillierung des nüchtern-knapp in der propositio Ausdrückbaren" (HB § 289). Die narratio ist aufgrund der in ihr enthaltenden Informationen die Basis für die argumentatio. Das erzähltheoretische Pendant hieße Beispielerzählung. Im folgenden soll die Funktionalisierung der Episoden als probatio und refutatio dargestellt werden.
2.4.1.1. Die potentiellen 'Partner für die romantische Liebe'
2.4.1.1.1. Refutatio (quaestio finita): Die unmögliche Liebe: Bruno
Auch zu dieser Episode (TC 0:03:14 - 0:05:23) bedient sich der Film wieder der Musik als transitus (HB §§ 343-341). Er leitet so unter Aufgreifen der Proposition 'ideale Liebe = Leiden' in den in der insinuatio formulierten Gefühlszustand und damit in die Vorzeitigkeit über. Der 'Leidensdis-kurs' wird auf verschiedene Weise umgesetzt: Anstelle des Wassers des locus amoenus gibt es nun Wassertropfen (vgl. E 17), die hier, filmischen Konventionen folgend, mit 'Tränen' gleichgesetzt werden dürfen. Redundant wirkt so auch der atmosphärische Umschwung von 'Sonne' der insinuatio zu 'Regen'. Gleichzeitig wandert die Kamera am Bild des feuchten Fensterrahmens hinunter, bis ihr Blick auf ein dichtes Gebüsch fällt, in dem sich hier allerdings kein Liebespaar befindet. Der Kamerablick geht von innen nach außen. Dorothee Müller befindet sich nun in ihrer Wohnung, deren Ästhetik in ihrer Improvisiertheit an das Büro erinnert.
Die Musik endet abrupt, als eine Männerhand ein Glas umwirft (E 18). Dieses Klirren, das die Signalwirkung eines Weckers hat, bringt den Traum von der 'romantischen' Liebe zum Verstummen. Entsprechend ist auch Brunos Wecken von Dorothee zu deuten. Glaubt sie, sie habe sich mit Bruno die ideale Liebe ins Haus geholt, so belehrt er sie eines besseren. Auf den Liebesdiskurs, den Dorothee fortsetzen will "Ich hab' dich so vermißt. Wo bist du so lange gewesen" (E 19 b), geht er nicht ein. Vielmehr holt Bruno sie auf den Boden der Realität zurück. Er erinnert sie an sein eigentliches Anliegen: "Quiro contarte sobre nuestra madre" (E 19 a) - "Sie hat gesagt, sie will dich sehen" (E 19 b). Somit blendet er von Dorothees erhofftem Liebesdiskurs ab auf die familiäre Ebene. Diese - und nicht etwa erotisches Interesse - bildet nämlich für ihn das entscheidende Band zu seiner Schwester.
Der Schluß der Einstellung 19 b bringt die beiden auseinander: Bruno sinkt nach hinten über die Bettkante, Dorothee steht auf und geht. Ihr Blick zurück auf das leere Bett verweist die vorhergehende Sequenz zwar noch in das Reich des Traumes. Doch das Zeichen 'Laternenlampe' (E 21), das in der Epoche Aufklärung mit 'Illumination' gleichgesetzt wurde, deutet hier schon die später explizit erfolgende Trennung von Bruno an. Ebenso kann der Blick Dorothee Müllers in den Spiegel (E 23) als Metapher für Selbsterkenntnis und damit Erkenntnis des Utopiecharakters der 'idealen Liebe' gewertet werden.
Das verstopfte, völlig verschmutzte Waschbecken, auf das ihr Blick fällt, sowie der tropfende Wasserhahn, der der Atmosphäre etwas Lähmendes verleiht, illustrieren kraß die Sackgasse, in die sie sich mit ihren Vorstellungen manövriert hat.
In diese Situation hinein klingelt das Telefon mit einem ähnlich alarmartigen Geräusch, wie es bereits das von Bruno umgestoßene Glas verursachte. Jemand versucht Kontakt mit Dorothee aufzunehmen. Doch Dorothee Müller, die, der Realität zum Trotz, an ihrem Wunschbild festhalten will, verweigert die Antwort. Sie lehnt jede Kommunikation mit einer ihre Träume gefährdenden Außenwelt ab. Sie ahnt, daß der Anrufer Heinz ist, ihr 'Ex-Lover'. Dieser ist aber schon als untauglicher Partner für die 'ideale Liebe' desavouiert worden. Heinz ist nur noch ein unerwünschter Eindringling.
In dieser Sequenz findet epideiktisch eine klare Sympathieerklärung zugunsten Brunos und zuungunsten Heinz' statt. Heinz' Anruf wird nicht angenommen, Bruno wird "vermißt" und geküßt. Das inzestuöse Moment dieser wie auch immer gearteten Liebesbeziehung zu Bruno wird dabei nicht problematisiert. Im ganzen Film wird niemals klar, ob die beiden sexuellen Kontakt hatten oder ob es bei Dorothee Müllers Wunsch blieb[78].
Trotz dieser Sympathieerklärung bleibt die Situation ambivalent: Deutlich wird nur Dorothee Müllers bereits in der insinuatio geäußerter Wunsch, mit Bruno die 'ideale Liebe' zu leben. 'Glück' wird ihr nicht zuteil. Bruno geht nicht auf dieses Ansinnen ein, Heinz kommt ohnehin nicht mehr infrage.
Es gilt hier als weiterer Ordnungssatz (wie bereits in der insinuatio):
'Es gibt Männer, die Dorothee Müller für geeignet hält, um mit ihnen die 'ideale' Liebe zu leben'.
2.4.1.1.2. Probatio (quaestio finita): Die gescheiterte Liebe: Heinz
Der transitus zu dieser neuen Sequenz (TC 0:05:23 - 0:07:14) erfolgt wieder auf der Tonebene, diesmal mittels des filmischen Topos 'Telefongespräch'. In seinem Büro sitzt ein dicker Mann mit Halbglatze (Heinz) nervös mit dem Telefonhörer in der Hand hinter seinem Schreibtisch. Die Off-Stimme Dorothee Müllers aus dem Anrufbeantworter stellt die Verbindung zu dem Telefonläuten der vorhergehenden Sequenz her. Die dem Zuschauern erkennbare 'Falschaussage' Dorothee Müllers ("Ich bin leider nicht zuhause", E 26) zeigt, daß sie eine Heinz' gegensätzliche voluntas auf Figurenebene vertritt. Daß es einmal eine gemeinsame voluntas von Heinz und Dorothee gegeben hat, verdeutlicht die mittels des Zeichens 'Polaroidphoto' eingeleitete Rückblende in die bereits in der insinuatio angesprochene Vergangenheitsstufe. Die Ambivalenz von 'Gemeinsamkeit' und 'Unterschiedlichkeit' zwischen Heinz und Dorothee, von Mann und Frau, wird auch noch einmal in der Raumordnung thematisiert. Die Stellung von Dorothees Schreibtisch im prooemium ist der Stellung von Heinz' Schreibtisch genau entgegengesetzt; beide haben allerdings ein Büro.
Ein affektisches Mittel ist der Einsatz des Wiener Walzers (E 28), des traditionellen 'Tanzes der Liebenden'. Gleichzeitig können die Zuschauer Heinz' Physiognomie studieren (E 28, ganz groß, angeschnitten). Der Eindruck fällt nicht besonders günstig aus: Heinz hat ein feistes Gesicht und schwitzt. Sein verklärtes Lächeln signalisiert seinen erotisierten Gefühlszustand. Durch die point-of-view-Regeln ist dieser auf den Inhalt des Polaroidphotos gerichtet, die Zuschauer verfolgen Heinz' Perspektive. Die der Photographie inhärente Statik der Momentaufnahme löst E 29 in Bewegung auf: Heinz und Dorothee fahren Karussell, küssen und liebkosen sich gegenseitig. Diese amplificatio, die den Zuschauern den vorvergangenen 'glücklichen' Zustand als einen momentanen suggeriert, muß den Stimmungsumschwung zu E 30, der sowohl in der mise-en-scène als auch auf der Musikebene aufgegriffen wird, umso krasser wirken lassen; die Realität holt auch Heinz ein. Ähnlich wie Bruno in der vorhergehenden refutatio nicht gänzlich positiv gezeichnet ist, ist Heinz es nicht gänzlich negativ bis zu diesem Zeitpunkt (TC 0:06:30) der Darlegung der probatio. Die Charakterisierung Heinz' wird aber zunehmend negativer, da die Komponente 'Aggressivität' ausgebaut wird. Heinz' Musikmotiv gibt auch das Motiv für diese Aggressivität an. "Wenn du gehst/ bleibt es kalt, bleibt es dunkel," usw.: Heinz befindet sich in einem defizitären Zustand. Er sucht nach etwas; E 33-35 legen nahe, daß er nach den Briefen an Dorothee, also einem Anlaß zur direkten Kontaktaufnahme, sucht. Das Photo, das einen aggressiv wirkenden Mann mit vorgestreckter Faust zeigt, ist ein weiteres Zeichen für seine eigene Aggressiviät. Der vor diesem Bild stehende Teddybär ironisiert das 'Macho'-Bild, dient also dem delectare, und modifiziert die Charakterisierung Heinz' (docere): Heinz hat auch wie immer geartete kindliche Eigenschaften. Kameraführung und Beleuchtung unterstützen die Negativzeichnung. Zunächst verstärkt die 'Handkamera' die Unruhe und 'Zerrissenheit' Heinz'; sie versucht, seinen Bewegungen zu folgen, zeichnet sie so mit kurzer Verzögerung nach und verfolgt den Zweck der Distanzierung. Dazu wird der abgebildete Ausschnitt so klein gewählt, daß Heinz' Körper nur in 'Bruchstücken' abgebildet wird und umso mächtiger wirkt, da er teilweise das ganze Bild verdunkelt. Beleuchtet wird im "unausgeglichenen Low-Key-Stil"[79], der Heinz' Gesicht 'fragmentiert' und dadurch 'unheimlich' erscheinen läßt. Der 'fiktive' Autor bedient sich der Verfremdung mittels color und fordert Distanzierung.
Mit einem metaphorischen, als recapitulatio (HB § 435 f.) fungierenden Ende der Musik ("Dezember!") findet dieser Erzählabschnitt seinen Abschluß; Heinz setzt sich wieder an seinen Ausgangsplatz am Schreibtisch. Nun erscheint ein Mann mit Briefen in der Hand: "Das ist für Dorothee. Soll ich's ihr schicken?". Diese Information läßt den Zeitpunkt dieser narratio näher bestimmen: Dorothee Müller muß vor recht kurzer Zeit entlassen worden sein, da sie noch Geschäftspost bekommt. Heinz Antwort "Nein, ich seh' sie sowieso noch!" greift noch einmal seine voluntas auf, Kontakt mit Dorothee aufzunehmen, legt den Erfolg dieses Vorhabens in nahe Zukunft und birgt so durch die zu Dorothee gegensätzliche voluntas 'Spannung' in sich. Nachdem der Mann den Raum wieder verlassen hat, zerknüllt Heinz das Photo und wirft es mit aggressivem Gesichtsausdruck gegen ein an der Wand hängendes Poster Arnold Schwarzeneggers[80]. Hier wird eine Erklärung für das Scheitern der Beziehung Heinz' und Dorothees aus der Sicht Heinz' gegeben: Seine aggressives Machogehabe, gegen das er paradoxerweise mit denselben Mitteln zu verwehren sucht. Er erkennt sie selbst, kann sie aber nicht überwinden.
2.4.1.2. Argument: Biologische Determinierung begründet Unterschiede zwischen Mann und Frau/ Männer sind aggressiv
2.4.1.2.1. Probatio (quaestio infinita): Dorothee Müller mit dem Fahrrad am Alsterufer / Speicherstadt
Zu dieser narratio (E 39-41) gibt es keinen transitus, so daß sie als 'neues Kapitel' gewertet werden kann. Diesen Begriff greift Dorothee Müllers Off-Kommentar auf: "Kapitel Eins: Mann und Frau Opfer ihrer Biologie?" Behandeln die auf prooemium und insinuatio folgenden beiden narrationes die quaestio finita, so kommt diese narratio jetzt auf die quaestio infinita zu sprechen, indem die in der insinuatio allgemein gestellte Frage präzisiert wird. Dorothee Müller stellt nun "die Frage nach der Liebe (...) als sexuelles und soziales Phänomen" (vgl. E 40) und versucht, eine erste Antwort zu geben: "Die Liebe ist ein Gefühl, das durch elektrische Ströme im Gehirn entsteht. Dazu kommt die Wirkung der Hormone".
Die Liebe als Leidensdiskurs wird jetzt mit biologischen Voraussetzungen in Zusammenhang gebracht. Biologische Fakten sollen überführt werden in Beweise dafür, daß nur der Frau die Opferrolle zukommt. Diese Zuweisung der Opferrolle aber ist es, über den die kulturell vermittelte 'bürgerliche' Treue-Norm den ihr inhärenten Besitzanspruch perpetuiert, so daß Dorothee Müller zu der Aussage kommt: "Wahrscheinlich ist er" - Heinz - "nur an mir interessiert, weil er vermutet, daß ich ihn betrüge" (E 40). Gerade dieses überholte Modell, das sich durch wissenschaftliche Methoden abzustützen weiß, wird Dorothee Müller immer mehr hinter sich lassen, bis sie es schließlich aufgibt (vgl. den 'Zungenbrecher', E 40). Es deutet sich in der filmischen Umsetzung bereits an.
Dorothee Müller, als Zeichen ihrer Recherche mit dem Trenchcoat bekleidet (vgl. E 1 ff.), ist mit dem Rad unterwegs. Diese Bewegung entspricht der gleichgerichteten Fahrt der Kamera als Manifestation eines 'fiktiven Autors'. Dorothee Müller wird in einer gleichgerichteten Fahrt von rechts vorne aufgenommen, so daß sich Kamerabewegung und Figurenbewegung aufheben und der Blick zudem nicht nach vorne, sondern rückwärts gelenkt wird[81]. So erscheint Dorothee Müllers Unternehmen 'sinnlos', weil längst überholten Diskursen der Vergangenheit verhaftet. Die Speicherstadt - einst Sinnbild bürgerlicher Prosperität und jetzt zu einer dem Verfall anheimgestellten 'romantischen' Kulisse verkommen - unterstreicht diese hinfällige Rückwärtsgewandtheit Dorothees. Der 'fiktive Autor' untermalt dieses gespenstische Ambiente noch mit einer 'romantischen' Musik. Diese Struktur ist der insinuatio ähnlich, wieder wird der Verfall bürgerlicher Ideale aufgezeigt.
2.4.1.2.2. Probatio (Übertragung der quaestio infinita auf die quaestio finita): Heinz in der Telefonzelle
Die letzten Worte der vorhergehenden Sequenz, "... Schimpansen. Ihre Desoxyribonukleinsäure ..." legen es nahe, in einem locus a maiore ad minus die Aussage der quaestio infinita auf den speziellen Fall der quaestio finita zu übertragen, die die Erzählung in dieser Episode (TC 0:08:15-0:08:43) wieder aufgreift. Heinz' Verhalten soll also auf affenähnliche genetische Strukturen zurückgeführt werden. Heinz versucht vergeblich, jemanden telefonisch zu erreichen. Das aus der Büro-Sequenz bekannte Musikmotiv, das Heinz' emotionalen Zustand, der sich auch in der Deixis als 'nervös' visualisiert, kommentiert, läßt darauf schließen, daß er Dorothee anrufen will. Dorothee ist, wie die Zuschauer wissen, gerade mit dem Fahrrad unterwegs, um zu recherchieren (Parallelmontage). Sie befindet sich wie Heinz an der Alster, trotz der räumlichen Äquivalenz kommt es zu keinem Kontakt.
2.4.1.2.3. Probatio (Übertragung der quaestio infinita auf die quaestio finita): Dorothee Müller kommt von der Recherche zurück in ihr Büro - der Mann im Hof
Der Eindruck, daß Heinz Dorothee anrufen wollte, bestätigt sich durch die für diese neue Sequenz (TC 0:08:43 - 0:09:03) als transitus fungierende Musikuntermalung, die mit den Worten "zu dir!" auf eine neue, die Nahaufnahme von Dorothee Müllers Beinen nebst Fahrrad zeigende Einstellung überleitet. Dorothee schiebt ihr Fahrrad in den Hof, und ähnlich wie im zweiten Teil des prooemium betont die Kamera die erotischen Reize ihres Körpers, hier die nylonbekleideten, auf Stöckelschuhen einherschreitenden Beine. Zum einen unterstellt die Montage Heinz diesen Blick, an dem die Zuschauer teilhaben, zum anderen verweisen mise-en-scène und filmische Mittel (Zoom, Montage) auf einen in Beinhöhe sitzenden älteren Mann mit mißmutigem Gesichtsausdruck, dessen Perspektive E 44 schließlich nachzeichnet: Dorothees Beine gehen die Außentreppe zu ihrem Büro hoch. Wieder also wird der Zuschauerblick zu einem mit Aggression gepaarten männlichen Blick. Zu dem exemplum (vgl. HB § 410 ff.) 'Heinz' der vorhergehenden Einstellung (quaestio finita) gesellt sich das exemplum des anonym bleibenden Mannes zur Bewahrheitung der in der quaestio infinita postulierten genetischen Determiniertheit bestimmter 'sexueller und sozialer' (vgl. E 40) Verhaltensweisen.
Die 'Liebe als sexuelles Phänomen' zeigt sich für die Zuschauer wie im prooemium als männliches Begehren. Die 'Liebe als soziales Phänomen' zeigt sich als männliche Aggression und weibliche Passivität/ Flucht (vgl. Schema 2).
2.4.1.2.4. Probatio (quaestio infinita): Dorothee Müller in ihrem Büro/Rückblende: Dorothee Müller im Tierpark bei den Affen
In dieser Sequenz (TC 0:09:03-0:10:40) sitzt Dorothee Müller an ihrem Schreibtisch und tippt die Fortsetzung des bereits erwähnten "Kapitel Eins" (vgl. E 39) ihrer Recherche in den Computer. Ihr Off-Kommentar wird hier durch das Einschalten des Diktiergerätes motiviert. Dorothee Müller greift das exemplum von E 39 ff. wieder auf und kommt jetzt auf die Schimpansenweibchen zu sprechen: "Die einsamen Schimpansenweibchen sind fast die ganze Zeit des Erwachsenenlebens mit der Aufzucht ihrer Kinder beschäftigt. Nur wenn sie brünstig sind, treffen die einzelnen Weibchen mit der Männerhorde zusammen ..." (E 39). Diese nicht den biologischen Tatsachen entsprechende[82] Aussage anthropomorphisiert die Tiere durch die Zuweisung einer 'menschlichen' Empfindung ('einsam') und die Substitution von 'Junge' durch "Kinder" und legt so bereits die Übertragung der als quaestio infinita formulierten Aussagen auf die quaestio finita, also Dorothee Müller nahe. Die Eigenschaft 'einsam' ist als vorprogrammierte Folge 'fruchtbaren' sexuellen Verkehrs zu sehen - eine Perspektive, die hier implizit als zu negierende formuliert ist. Die Negativzeichnung dieser Perspektive findet ihre amplifikatorische Fortsetzung in der ein technisch-maschinelles Bild wählenden Aussage: "und werden dann von Affe zu Affe weitergereicht". Der einzelnen Frau ist also eine passive, duldende Rolle mit negativen Konsequenzen einprogrammiert, mit der sie einen Vorteil für die 'Gesamtgemeinschaft der Affen' schafft: Sie trägt zum Erhalt der Gattung bei. Die Interpretation der Dorothee Müller wendet diesen biologischen 'Ordnungssatz' nun noch einmal in eine ganz andere Richtung: "Das erhöht den Zusammenhalt der Affenbruderhorde". Es geht nicht um den Erhalt der Gattung, sondern um den Erhalt einer 'patriarchalisch' strukturierten Gesellschaft.
Das gewählte exemplum und seine sprachliche Formulierung wirken im Zusammenhang der zu verhandelnden causa zunächst grotesk, da im Gegensatz zur Affenwelt in der menschlichen die soziale Norm (temporäre) 'Monogamie' vorausgesetzt werden kann. Die Wirkung ist auf delectare angelegt. Gleichzeitig macht der 'fiktive Autor' die Figur Dorothee Müller und ihren Ansatz damit lächerlich (ridiculum). Im Vorgriff auf eine Synopse des Films läßt sich hier bereits die metaphorische Formulierung eines Beweiszieles des 'idealen Autors' festmachen: Deutschland wird gezeigt als 'Raum der Männer'; Dorothee Müller ist die einzige Frau darin, die einen 'patriarchalischen' Diskurs aufgreift und dadurch perpetuiert.
Das Ineinanderspiel des Scheiterns der Beziehung mit dem Journalisten Heinz und ihrer Entlassung aus der Zeitungsredaktion legt ein Abhängigkeitsverhältnis in Form von 'Sex' gegen 'Geld' nahe, unterstellt der Beziehung also Strukturen von Prostitution. Die Macht der Männer als 'Affenbruderhorde' manifestiert sich über die Sexualität hinaus in den Strukturen der 'patriarchalischen' Gesellschaft.
In diesen Propositionen finden sich Parallelen zu dem im prooemium durch das signum 'Buch' angedeuteten tiefenpsychologischen Ansatz C.G. Jungs, der Freuds Begriff des 'Unbewußten' erweiterte und ein 'persönliches' (Individuum) von einem 'gesellschaftlichen Unbewußtsein' (Gattung) unterschied, die sich in ähnlichen Symptomen und Symbolen manifestieren.
Das exemplum ist Teil eines Argumentes hinsichtlich der Deutung des Titels "Jungfrauenmaschine" als Objektrelation ("eine Maschine, die Jungfrauen herstellt"). Die Einsicht der negativen sozialen Konsequenzen der geschlechtlichen 'Fruchtbarkeit' bietet einen Grund für die Frau (hier speziell: Dorothee Müller), sich dieser 'Norm' zu entziehen; 'Jungfräulichkeit' wäre hier also nicht als Opposition zu 'geschlechtlichem Verkehr', sondern als Opposition zu 'geschlechtlicher Reproduzierung' zu sehen. Die 'Maschine' wäre die 'patriarchalisch' strukturierte Gesellschaft.
Das zunächst (E 45) als akustische Hintermalung unterlegte Affengebrüll fungiert von E 45 zu E 46 als transitus und motiviert den Ortswechsel von Dorothee Müllers Büro in den Zoo; der parallel fortlaufende Off-Ton mit der Stimme Dorthee Müllers aus dem Diktiergerät macht dieses exemplum zeitlich zur Rückblende. An dieser Stelle läßt sich folgender im prooemium begonnener Erzählstrang rekonstruieren:
(1) Dorothee Müller bricht zur Recherche auf (E 1-6);
(2) Dorothee Müller recherchiert im Tierpark (E 46-48);
(3) Dorothee Müller kommt von der Recherche zurück (E 39-40, E 42-45, E 53-59).
Hier wird deutlich, daß die Argumentationsstruktur komplexer wird. Dies wird dadurch erreicht, daß einzelne Erzählstränge ständig von anderen durchkreuzt werden und dann im Sinne des Montageprinzips mit suggestiven, vor allem akkustischen Mitteln zu einem Ganzen zusammengefügt werden.
Der Anblick des 'putzigen' Affen (vgl. E 46) die abgebildeten Männer 'häßlicher' und 'brutaler' erscheinen: die Welt der 'domestizierten' Männer ist also viel grausamer als die Tierwelt.
Sprach Dorothee Müller in E 40 über Affen, zeigten die folgenden Einstellungen Männer; im Tierpark bei den Affen kommt Dorothee Müller auf den Mann zu sprechen: "Der geschlechtsreife Menschenmann verfügt über Millionen von Samenzellen. Der biologische Impuls geht dahin, möglichst viel von diesem Potential auszustoßen" (E 46-48). Analog zu der Anthropomorphisierung der Affenweibchen wird hier der Mann durch die Wortwahl animalisiert.
Aus dem exemplum ergeben sich folgende Propositionen:
Mann und Frau sind in ihrem sozialen Verhalten grundverschieden. Die Frau ist 'einsam', der Mann 'gesellig'. Verbunden sind sie durch die biologisch programmierte Notwendigkeit, Kinder zu zeugen, durch ihre Sexualität. Die Praxis lehrt aber, daß nur Männer das Recht haben, über ihre Sexualität frei zu verfügen. Damit ist sie deren Domäne, die sie mit entsprechender Aggression verteidigen. Die Frau ist dazu abgestellt, Sexualität 'über sich ergehen' zu lassen. Lust - auch wenn das nur implizit eingeführt wird - ist ein männliches Privileg. Der Frau bleibt als Lohn der Sexualität die mühevolle Kinderaufzucht.
Der Satz Dorothee Müllers "Zu diesem Zweck sucht der männliche biologische Code so häufig wie möglich Geschlechtsverkehr, um den Output von kopierfähigen Samenzellen zu garantieren" leitet zurück in das Büro. Damit wird der Off-Ton aus dem Diktiergerät langsam ausgeblendet, eine Tongestaltung aus subjektiver Perspektive: Dorothee Müller wird von ihrer eigentlichen Beschäftigung abgelenkt, sie schaut aus dem Fenster.
2.4.1.2.5. Probatio (Übertragung der quaestio infinita auf die quaestio finita): Dorothee Müller in ihrem Büro wird konfrontiert mit den Männern im Hof
Diese Sequenz (TC 0:10:03-0:10:31) zeigt in E 50 Dorothee Müllers subjektive Sicht (Aufsicht) in den Hof. Dort befindet sich der ältere Mann aus E 43 und verscheucht zwei sich streitende Jungen. Es liegt nahe, in ihnen einen Teil der 'Affenbruderhorde' zu sehen. Die aggressive Stimmung deutet auf 'Rangkämpfe' hin, aus denen der ältere Mann als Sieger hervorgeht. Auch den nicht ausgewachsenen Männern, den Jungen, sind bereits 'männliche' Verhaltensweisen zueigen. Die Aggression kann als Symptom einer nicht ausgelebten Sexualität gelesen werden; die aggressive Stimmung deutet im Anschluß auf die Propositionen der vorhergehenden Sequenz auf das Fehlen des 'Weibchens' hin, mittels dessen sich die Aggression über die Sexualität ableiten ließe. Dieses zeigt sich jetzt in Form von Dorothee Müller aus der subjektiven Sicht des älteren Mannes als Silhouette am Fenster. Anders als in der 'Affengesellschaft' kann sie jedoch nicht den Interessen des Mannes (vgl. Blickkonstellation E 43-44) gefügig gemacht werden, seine Reaktion ist (milde) Aggression (ein böser Blick nach oben), ihre, wie vorher bereits, Flucht: Dorothee Müller zieht sich vom Fenster zurück. Die als Eingang der Sequenz gestellte Frage ("Mann und Frau - Opfer ihrer Biologie?" E 39) erweist sich also als interrogatio (HB §§ 776-779); sie wird bejaht.
2.4.1.3. ARGUMENT: Geschichtlich geprägte Sozialisation begründet Unterschiede zwischen Männern und Frauen/ Frauen sind Opfer
2.4.1.3.1. Bruno bei Dorothee
refutatio (quaestio finita): Harmonie zwischen Bruno und Dorothee
probatio (quaestio infinita): Disharmonie in Brunos Lied
Als Zurückweisung der vorherigen Negativzeichnung der Männer zeigt E 54 Dorothee Müller jetzt (TC 0:10:31-0:11:14) in Harmonie mit Bruno beim Essen. Der Off-Kommentar, die 'Gedankenstimme'[83] Dorothee Müllers, relativiert diesen Eindruck jedoch: "Ich muß mich bitterlich beklagen, Frau Minne, ihr habt mich tief ins Unglück gestürzt". Mit dieser Apostrophe (HB §§ 762-765) greift Dorothee Müller die in der insinuatio als reticentia (Affekt-Aposiopese auf Figurenebene, berechnende Aposiopese des 'fiktiven Redners', HB §§ 887-889) formulierte Aussage "Daß ich mich dann in Bruno verlieben mußte, meinen Bruder ..." (E 16) auf und klagt in einer Allegorie (HB §§ 895-901) "Frau Minne" (Personifizierung, Elemente § 425) als Verantwortliche für das 'Scheitern' an. Die Allegorie ist der 'idealen Liebeskonzeption' zuzuordnen; nicht zu ermitteln ist, ob tatsächlich auf Inhalte der historischen Dimension 'Minne' verwiesen werden soll. Wäre dies der Fall, hieße es, daß Dorothee Müller bislang keinen geschlechtlichen Umgang mit Bruder Bruno hatte, diesen aber ersehnt. Wäre dies nicht der Fall, wäre die Anklage über den Bezug zu Bruno hinaus globaler als Ansatz zu einer ersten Schlußfolgerung aus der erzählten Vorzeitigkeit aufzufassen: Dorothee Müller konstatiert, daß die 'ideale Liebeskonzeption' nicht den erhofften Gefühlszustand 'Glück' mit sich bringt, entdeckt also Fehler in ihren Prämissen.
Bruno singt ein Lied (vgl. E 54). Der 'grausige' und komplexe Text ist in die 'fröhliche' und einfache Musik eines 'Kinderliedes' gefaßt, es handelt sich hier um eine (fingierte) Moritat. Die Geschwister Bruno und Dorothee machen einen fröhlichen Eindruck, während Bruno das Lied singt, beide lächeln. Dorothee wird sogar 'aufgemuntert'. Die vom 'idealen Zuschauer' zu vollziehende Interpretation bildet einen Kontrast zu der harmonischen Situation der mise-en-scène: Wie Dorothee durch "Frau Minne" unglücklich wurde, wurde es bereits die Generation vor ihr, personifiziert durch die Mutter. Der Grund liegt in einem durch Sozialisierung und Erziehung geschaffenen Abhängigkeitsverhältnis der Frau vom Mann. Sie kann ohne ihn nicht existieren, sie ist nicht selbständig, letztlich auch von seiner Anerkennung abhängig ("die einst dich angelacht" = die dir einst gefallen hat). Auf der akustischen Ebene findet also eine Kritik auch an einem historisch geprägten, aber immer noch beständigen Rollenverständnis der Frau statt. Eine Parallelisierung von Dorothee und ihrer Mutter geschieht auf der Ebene der mise-en-scène, indem Dorothee ihren Bruder/ potentiellen Liebhaber wie ein Kind 'mütterlich' zu füttern versucht. Bruno hat als 'Autor' des Liedtextes in seiner Beziehung zu Dorothee zum einen 'Verständnis' für die dargelegten Propositionen, gehört also zum Raum der positiv dargestellten Männer, zum anderen setzt er sich durch die Anrede an den "Vater" mit diesem in Beziehung, gehört also gleichfalls zum Raum der negativ dargestellten Männer. Unter einem anderen Aspekt spielen die beiden die Vater-Mutter-Rollen nach.
2.4.1.3.2. Probatio (Übertragung der quaestio infinita auf die quaestio finita): Heinz kommt in Dorothee Müllers Büro
Diese Sequenz (TC 0:11:14-0:12:10) greift zwei Aspekte des bisher Ausgeführten auf: (1) der Mann als Aggressor, (2) die Frau als passiv Duldende, Permissive. Heinz kommt in Dorothees Büro, Dorothee ist dies nicht recht ("Hätt' ich doch bloß die Tür abgeschlossen und ihm den Schlüssel abgenommen. - Was willst du denn hier?", E 55). Dorothees anfangs abweisende Haltung ( Abschütteln von Heinz' Umarmungsversuch, Forderung nach Diskretion in Bezug auf ihre Arbeit) wandelt sich mit Heinz' besitzergreifendem Insistieren, bis sich schließlich das Ringen um den Text ihrer Arbeit in eine Umarmung und ein Lächeln verwandelt. Die Kameraführung, die bevorzugt Heinz' Unterleib ins Bild bringt, unterstellt ihm sexuelle Motive für seinen 'Annäherungsversuch', der im Gegensatz zu den vorherigen gelingt und so eine amplificatio der Argumentation darstellt. Einen ironischen Aspekt in bezug auf Heinz' Wunsch nach Konfliktlosigkeit bietet sein wie eine Warenwerbung intoniertes Summen.
2.4.2. Erste Argumentatio
Im Sinne der dialektischen Beweisführung dieses Filmes erschien es mir gerechtfertigt, die gesamte Rede in mehrere einzelne Reden zu unterteilen.
Die argumentatio "dient der Herstellung der Glaubwürdigkeit (...) des vertretenen Parteistandpunktes (...). - Der Schwerpunkt liegt im docere." (HB § 348). "Die argumentatio (...) als Teil der Gesamtrede setzt sich aus mindestens einem Beweis, meist aus mehreren Beweisen (...) zusammen" (HB § 349). Die Beweise[84] greifen auf Argumente[85] zurück; das 'Zweifelhafte' (id quod dubium est) soll durch 'Unbestrittenes' (id quod dubium non est) glaubwürdig gemacht werden. "Nimmt man argumentatio (...) als Oberbegriff (...), so sind die (positive, die Glaubwürdigkeit der gegnerischen Meinung nachweisende) probatio und die (negative, die Nichtigkeit der gegnerischen Meinung nachweisende) refutatio die Teile der argumentatio (...): die Mittel der refutatio entsprechen den Mitteln der probatio (HB § 430).
2.4.2.1. Conclusio: 1. Gegenrede des
Opfers
refutatio (quaestio finita): Harmonie zwischen Dorothee und Bruno
Probatio (quaestio infinita): Disharmonie zwischen den Figuren des Puppenspiels
Die Kleidung von Dorothee und Bruno ist dieselbe wie in E 54, es liegt also nahe, in dieser Sequenz eine Fortführung des dort begonnenen Erzählstranges zu sehen. Gleichzeitig findet sich eine ähnlich dichotomische Aufspaltung : Dorothee und Bruno spielen mit einem Puppentheater. Sie amüsieren sich dabei; die Figuren des Puppenspiels, zwei weibliche Figuren, streiten sich (subiectio, HB § 771-775). Die Kulisse des Puppenspiels weist ähnliche Merkmale auf wie die mise-en-scène der insinuatio: Wasser, ein Boot, ein bewaldetes Ufer. Dieser Ort jedoch ist kein locus amoenus mehr, sondern dessen Infragestellung. Das Vokabular der den Puppen in den Mund gelegte Dialogpassage läßt auf einen religiösen Diskurs schließen ("himmlische Freiheit", "Gaben des heiligen Geisten [sic!]", "ewige Leben"). Aus den Untertiteln der Kopie für den anglophonen Raum ergibt sich, daß die Addressatin der von Dorothee Müller gesprochenen Puppe "Mistress Love", also jene bereits in E 54 angerufene "Frau Minne" ist. 'Ideale Liebe' und 'Religion' werden parallelisiert. Als Fortsetzung von E 54 wird die Konstatierung "Frau Minne, ihr habt mich tief ins Unglück gestürzt" nun präzisiert (aetiologia, HB §§ 867-871): "Ihr habt mir alles entzogen, was ich auf Erden je erreicht habe". Aus der Erwiderung: "Dafür habe ich euch die himmlische Freiheit gebracht" und den folgenden drei Dialogpaaren (Diarese) ergeben sich folgende Oppositionen:
diesseitiger Erfolg/Lohn vs. jenseitiger
Erfolg/Lohn
Materialität vs. Idealität
Realität vs. Idealität
[Schema 8]
Der Vorwurf "Ihr habt mir alle meine Freunde geraubt" beschreibt die bisher gezeigte Situation Dorothee Müllers, die sich im 'Raum der Liebesbeziehung', nicht aber in dem der 'Freundschaft' bewegt. Eine inhaltliche Parallele besteht ebenfalls zu dem in E 45 angeführten exemplum der "einsamen Schimpansenweibchen". Auch der Vorwurf "Ihr habt mir die Welt vorenthalten, den Reichtum und die Anerkennung" trifft auf Dorothee Müllers Situation zu: Sie befindet sich in Deutschland/Hamburg, ist nicht besonders wohlhabend und ist aus der Zeitungsredaktion entlassen worden. Der Vorwurf "Ihr habt mir meine ganze Jugend gestohlen" weist auf den langen Zeitraum des Mangels hin. Die amplifikatorische Reihung findet ihren Kulminationspunkt in dem Vorwurf der Inbesitznahme und Einverleibung des Körpers: "Ihr habt mein Blut und Fleisch verzehrt" und greift so im vermeintlich religiösen Diskurs den 'Krankheits-' und 'Leidensdiskurs' vorheriger Sequenzen auf. Die implizite Parallelisierung des 'Leidensweges Christi' mit dem 'Leidensweg' Dorothee Müllers enthält in der Hyperbel (HB § 579) ein ridiculum, das der pathetische Tenor der Stimmführung aufgreift und das durch den amüsierten Gesichtsausdruck Brunos und Dorothees reflektiert wird. Die Vorwürfe beinhalten Elemente einer commemoratio; die conclusio besteht in der konkreten Forderung: "Jetzt sofort sollt ihr mich bezahlen". Die Dialogpassage bringt die für die insinuatio konstitutiven Oppositionen:
Utopie/Ideal/Traum/Illusion vs. Realität
Wunsch nach Glück/Befriedigung vs. Erleben von
Unglück/Nicht-
Befriedigung
[Schema 9]
zur Konfrontation; innerhalb des Rollenspiels verläßt Dorothee Müller ihre bisherige passiv-permissive Haltung, klagt Defizite ein und stellt Forderungen. Diese Forderungen sind nicht mehr abstrakt-ideeller, sondern materieller Art. Der Konflikt im Raum des locus amoenus stellt die Konzeption 'ideale Liebe' und damit die 'Idylle' infrage. Die Übernahme des Parts der 'Frau Minne' durch einen Mann und die Vorgabe eines religiösen Schulddiskurses legen nahe, in der Konzeption der 'idealen Liebe' ein 'patriarchalisches' Konstrukt zu sehen, mithilfe dessen Versprechungen Frauen ihre weltliche, die materielle und fleischliche Befriedigung versagt wird: "Die Bezahlung ist verschoben bis in das ewige Leben".
2.4.4.2. Probatio (Übertragung der quaestio infinita auf die quaestio finita): Heinz' Besitzansprüche
Die reflektierende Wiederholung des letzten Satzes der vorhergehenden Sequenz, der damit gleichzeitig als transitus fungiert, kennzeichnet die Relevanz der im exemplum "Puppenspiel" gekennzeichneten Aussagen für Dorothee Müller und damit die Übertragung der quaestio infinita auf die quaestio finita: Die Forderungen der Puppe sind auch die Dorothee Müllers.
Die in resignativem Ton gesprochene Wiederholung einer Aussage der 'Gegenpartei' kennzeichnet Dorothee Müllers Rückfall in die Passivität. So hat sie ihre abweisende Haltung Heinz gegenüber aufgegeben und ihn zu sich mit nach Hause genommen, wo sie ihn jetzt bekocht; die Kleidung der beiden, die dieselbe ist wie in der Bürosequenz (E 55-59), deutet darauf hin, daß diese Sequenz die Fortführung des dort begonnenen Erzählstranges bildet. Die Gurke und der Salatkopf mögen als Anspielung auf den dort begonnenen sexuellen Diskurs gelesen werden. Heinz' Frage "Und wer hat in deinem Bettchen geschlafen?" ('Märchenidylle' vs. Realität, antiquitas (HB § 546) mit ironischer Funktion) löst die von Dorothee Müller vorher erhobene Proposition 'Heinz ist eifersüchtig' (vgl. E 40) ein; der Fortgang des Dialoges zwischen Heinz und Dorothee führt in einen vermeintlichen 'Diskurs über die Familie", der sich über die ableitbaren Propositionen als Anknüpfung an die Puppenspiel-Sequenz und die Sequenz 'Bruno bei Dorothee' (E 54) erweist: In einem exemplum erzählt Dorothee Müller eine Episode ihres Lebens. Die Mutter, durch den Vater an Leib und Seele zerstört, forderte Dorothee auf, den Vater umzubringen. Einmal bildet dieses exemplum die Antithese zu den in Brunos Lied (E 54) formulierten Aussagen (die Mutter kriecht nicht in den Schrank, sondern setzt sich gegen eine wie auch immer geartete Abhängigkeit vom Mann zur Wehr), zum anderen radikalisiert es den Aspekt 'Forderung nach Lohn/ Wiedergutmachung' in 'Forderung nach Wiedergutmachung/ Rache'. Zum dritten enthält es die Proposition 'Es gibt keine Solidarität unter Frauen' ("ich schlug ihr vor, sich doch selber umzubringen", E 69) und zum vierten bildet die Begründung der radikalen Forderung nach Mord eine Bedrohung auch für Heinz: "Alle Männer sind Mörder". Diesen Vorwurf löst er in einem symbolischen Akt ein. Perfiderweise täuscht er Hilflosigkeit vor (vgl. E 69.b.), um der 'mütterlich'- besorgten Dorothee dann ins Gesicht zu spucken - ein starkes affektisches Mittel zur Negativzeichnung Heinz'.
2.4.2.3. Conclusio: 2. Gegenrede des Opfers: Kritik am patriarchalischen Wissenschaftsdiskurs
Vom 'privaten' springt die Erzählung ohne transitus in den 'öffentlichen', den 'wissenschaftlichen' Raum über. Diese Formalie markiert einen neuen Abschnitt.
Wieder fungiert der Trenchcoat, den Dorothee Müller trägt, als signum ihrer Recherche, die sie jetzt zu einem Hormonforscher führt. Ein Hinweisschild (vgl. E 70) bildet eine Hyperbel und gleichzeitig deren ironische Brechung. Der Name "Prof. Dr. Carl Mendel" spielt auf den Vererbungsforscher Gregor Mendel an und knüpft damit an Dorothee Müllers in E 39 ff. zur Beantwortung der Frage "Mann und Frau - Opfer ihrer Biologie?" getätigten Aussagen an. Die Titel und der Name Mendels stehen als Zeichen akademischer Ausbildung in Kontrast zu dem semantisch unpräzisen Neologismus "Hormonsprechstunde". Dieser Kontrast bildet ein erstes ridiculum, mittels dessen der 'fiktive Autor' Mendel die Kompetenz abspricht, das der Frage zugrundeliegende Problem, das Scheitern der romantischen Liebe, tatsächlich beantworten zu können.
Zunächst erscheint Mendel in seinem akademischen Habitus Dorothee so überlegen, daß diese spontan die Rolle der Subalternen annimmt. Dorothee Müller wirkt lächerlich in der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens. Doch im Rahmen des Interviews kehrt sich dieses Verhältnis um. Mendel gibt sich selbst und damit auch den wissenschaftlichen Diskurs der Lächerlichkeit preis. Indem das Interview in die Äußerung Mendel mündet: "Wenn ich mich nur erinnern könnte, wie das war, ich im Bauch meiner Mutter, auf Wellen getragen ..." (E 84) wird ein vermeintlich wissenschaftlicher Diskurs enttarnt als die dahinterliegende ureigenste Nabelschau Mendels. Mendel fällt hier hinter die von ihm selbst provozierte Rollenerwartung zurück. Er entlarvt sich als Mann, der emotional auf der Stufe eines Kindes zurückgeblieben ist. Ein Defizit, das der 'fiktive Autor' Heinz in E 31 durch das signum 'Teddybär' ebenfalls schon zugewiesen hat. Der 'fiktive Autor' kommentiert den Umschlag mit der entsprechenden Musik (vgl. E 80 ff.).
Eine weitere Parallele zwischen Mendel und Heinz besteht in ihrer Korpulenz[86]; die als weiteres signum für einen defizitären Zustand - beide kompensieren den Mangel durch Essen[87] - untermauern, daß in ihrer Liebeskonzeption die Frau nur als Muttersubstitut vorkommen kann. Mendels Bewertung der Schwangerschaft als "Urbild tiefster Harmonie" bildet die Gegenthese zu Dorothee Müllers in E 59 vorgeführten Ausführungen zu "Schwangerschaftsbeschwerden der Frau".
Am Ende von Mendels Monolog, den Dorothee Müller zunehmend verwundert über sich ergehen läßt, bricht sie in ein verächtliches Lachen aus. Erstmalig kommt es zu einer Kongruenz zwischen der Haltung des fiktiven Autors und der Figur Dorothee Müller: beide lachen den Wissenschaftler und Männer dieser Provenienz aus. Damit stellt diese Episode eine conclusio dar: Dorothee Müller ist nicht mehr bereit, den patriarchalisch strukturierten wissenschaftlichen Diskurs zu perpetuieren. Der fiktive Autor lenkt die Aufmerksamkeit akustisch durch das Einstimmen des 'Sehnsuchtsmotivs' der insinuatio auf die quaestio finita zurück. Mendel bekommt keine Möglichkeit zur Gegendarstellung mehr, die Episode bricht hier ab.
2.4.2.4. Probatio mit testimonium: Die Verschränkung von biologischen, religiösem und pornographischen Diskurs
Die Musik im Off fungiert als transitus zu dieser neuen Sequenz (TC 0:18:33-0:20:18) und täuscht über den zeitlichen und räumlichen Sprung hinweg. Dorothee Müller befindet sich in ihrem Appartement, beschäftigt mit vor ihr liegenden Abbildungen. Links von ihr liegt ein Buch, das einen Embryo zeigt, rechts und direkt vor ihr finden sich pornographische Photographien. Die Kamerabewegung (Schwenk und Fahrt von rechts nach links) formiert gegen die Leserichtung eine Kausalbeziehung zwischen diesen beiden zunächst unvereinbaren Sachverhalten.
Die Pornographie begründet einen Diskurs, der die biologische Seite der Sexualität ausklammert und sich, unter Ignorierung der Persönlichkeit und sozialer Bindungen, auf das Moment der Lust kapriziert hat. Diametral entgegen zur Pornographie schließt die im Fernsehen verhandelte Jungfrauengeburt den Geschlechtsakt aus. Beide heben sich ab von der nüchternen wissenschaftlichen Abbildung eines Embryos.
Der 'fiktive Autor' schildert die Sexualität durch die phallozentrische Ausrichtung der Photographien zusätzlich als männliche und konnotiert den Geschlechtsakt mit 'männlicher Lust'.
Aufgegriffen werden hier weiterhin implizit Propositionen des 'Affen-exemplum' (E 39 ff.), die dem Mann das Recht auf Lust zusprechen und der Frau die Folgen (Schwangerschaft und Kinderaufzucht) aufoktroyieren.
Der Verstoß gegen das äußere aptum, der in der Abbildung von Pornographie liegt, wird durch die Einbettung in die verschiedenen Diskurse aufgefangen und gemildert. Die Abbildung von Pornographie ist 'dramaturgisch gerechtfertigt'.
Die Ausführungen Uta Ranke Heinemanns[88] im Off fungieren zunächst als Kommentar der Bilder Dorothee Müllers:
"Ich les' ihnen mal vor, was wir für Mütter sind, das sind solche, denen Gewalt angetan wurde, geschändete, entweihte, verletzte, besudelte, befleckte. Violatae, das kommt nämlich nicht von viola, Veilchen, sondern von vis, Gewalt, also allenfalls von Veilchenauge. (E 86)
Die Kombination von Pornographie, Schwangerschaft und Vergewaltigung führt implizit wieder zu dem Schluß, die Frau als 'Opfer' und den Mann als 'Täter' zu sehen und darüber hinaus die "Liebe als sexuelles und soziales Phänomen" (vgl. E 40) als 'patriarchalische' Ordnung zu charakterisieren, da Männer aus dem Konstrukt ihre Vorteile, Frauen Nachteile ziehen. Die Parallele zwischen Theologie und Liebeskonzeption erinnert an die Vorwürfe der 'Puppenspiel'-Sequenz. Eine weitere Parallele besteht zwischen Uta Ranke-Heinemann und Dorothee Müller; beide agieren als 'Einzelkämpferinnen' in einer 'patriarchalisch' strukturierten Ordnung. Uta Ranke-Heinemann fungiert damit als 'Zeugin der probatio'. Auch sie bindet biologische Argumente in ihre Ausführungen ein. Sie kritisiert damit das Dogma der "Jungfräulichkeit Marias", das die Katholische Kirche als Glaubensgut hochhält. Der für die verhandelte causa ausschlaggebende Satz besteht in der Bemerkung: "Der Mann zeugt, er ist das allein zeugende Prinzip, die Frau ist sozusagen der Blumentopf, das leere Gefäß" (E 91 ff.), der auch Dorothee Müllers Bemühen umschreibt, ihr 'Vakuum' bei der intellektuellen Bewältigung des Phänomens 'Liebe' mit 'männlichen' Konstrukten aufzufüllen. Der 'fiktive Autor' nimmt dieser Schlußfolgerung die Brisanz durch langsames Ausblenden der Stimme Uta Ranke-Heinemanns und Überlagerung ihrer Ausführungen mit dem Musikeinsatz Mona Murs.
2.4.2.5. Propositio/ Andeutung eines weiteren Beweiszieles: Eine Frau als 'Partnerin für die romantische Liebe'?
Dorothee Müller zieht die Konsequenz aus der in der vorhergehenden Sequenz formulierten Schlußfolgerung über ihr 'Unterbewußtsein'. Sie schläft ein und träumt von einer Begegnung mit der Sängerin Mona Mur (TC 0:20:18-0:21:52). Die Verlagerung der Musik vom Off ins On leitet in die Traumsequenz über und fungiert als transitus. Die deutlichen erotischen Signale dieser Sequenz sind ambivalent gehalten: Das 'lyrische Ich' in Mona Murs Lied spricht einen "Frem-den" an, zu dem es in einem Verhältnis der Anziehung und Abstoßung steht, die anfänglich ausgedrückte Abstoßung wird immer mehr zu Anziehung. Der explizit ausgesprochene Topos besteht in dem Begriffspaar "Liebe und Tod", das sowohl oppositionell wie auch in seinen gemeinsamen Aspekten ausgespielt wird (vgl. E 92). Die Propositionen dieses Liedes setzen 'Geschlechterkampf' also nicht in Oposition zu 'Erotik', sondern der 'Geschlechterkampf' wird in diesem Lied mit 'erotischem Vergnügen' verbunden. Die Sängerin Mona Mur, deren Lied "120 Tage" (E 30 ff. u. E 41 ff.) Heinz leitmotivisch zugeordnet wurde, begleitet ihren Gesang mit äußerst lasziver Körpersprache, deren Adressatin als einziger Gast Dorothee Müller ist. Dorothee Müller reagiert darauf mit Blickkontakt, einem Lächeln und Seufzen (E 96). Diese Einstellung 96 suggeriert, Dorothee Müller sehne sich nach einer näheren, erotischen Beziehung zu Mona Mur, also zu einer Frau, als Partnerin für die 'ideale Liebe' als Konsequenz (conclusio) aus ihren bisherigen Erlebnissen mit Männern. Angedeutet wird hier das später untergeordnet verfolgte Beweisziel 'Dorothee Müller findet die ideale Liebe in der Beziehung mit einer Frau' mit dem locus der dieses Beweisziel später entwertenden übergeordneten Beweisführung 'käufliche (= nicht-ideale) Liebe'. Wieder nimmt der 'fiktive Autor' die Deutlichkeit der Aussage zurück, indem das Lied im Off beibehalten wird und zu einer Sequenz überleitet, in der Dorothee mit Bruno zärtlich tanzt (TC 0:21:52-0:22:26). Der Tanz darf hier, einem bekannten Topos folgend, als Substitut für den Geschlechtsverkehr gesehen werden. Suggeriert wird also, nicht die Frau, sondern Bruno sei der geeignete 'Partner für die ideale Liebe'. Diese Aussage wiederum wird entwertet durch die Sequenz 'Dorothee Müller rupft eine Fliege' (TC 0:22:26-0:22:44). Das in Mona Murs Lied ausgedrückte Begehren "I wanna be loved by you" wird durch die Untermalung der Sequenz mit diesem Lied auf Dorothee als Subjekt und Bruno als Objekt übertragen und kontrastiert mit Dorothee Müllers fast als Oxymoron aufzufassender Tätigkeit, eine Fliege wie eine Blume zu rupfen und daraus ein Liebesorakel zu machen. Dorothee Müllers letzte Worte dieser Sequenz sind: "Er liebt mich nicht". Wieder wird also darauf hingewiesen, daß Bruno nicht der Partner für die 'ideale Liebe' ist.
2.4.2.6. Conclusio: Die endgültige Trennung von Heinz
Propositio/Andeutung eines weiteren Beweiszieles: "Women's time has come to be sexual"
Die probatio bedient sich erneut der Schilderung der Beziehung Heinz' und Dorothees. Wieder hat Heinz die von Dorothee gewünschte 'Grenze' überschritten, er ist bei ihr zuhause. An den in E 86 begonnenen 'Diskurs über die Pornographie' erinnert die kleine Gummipuppe, die Heinz in der Hand hält und mit deren überdimensioniertem Phallus er gedankenverloren spielt. Heinz' Erzählung von einem Horrorfilm, den er gesehen hat[89] wird zum Monolog; Heinz redet an Dorothee Müller vorbei. Gleichzeitig ruft Heinz' Erzählung bei 'Insidern' des Wissen ab, daß der Darsteller Heinz', Gad Klein, Filmkritiker u.a. beim "Spiegel" und "Szene Hamburg" ist. Ein besonderes delectare, ein voyeuristisches Element, liegt darin, den Kritiker als Schauspieler sich der Kritik aussetzen zu sehen, es findet also eine weitere Diskurseröffnung statt.
Die Sequenz knüpft an das vorhergehende 'Liebesorakel' an. Durch ein Fliegensummen wird Dorothee Müller aufmerksam, unterbricht ihr Haareschneiden, nimmt ein Tuch und zerdrückt die Fliege. Die Fliege ist nicht sichtbar, sondern nur auf der Tonebene präsent, wo ihr Summen von Heinz' Monolog überlagert wird. Damit ist die Beweisführung: 'Heinz ist kein Partner für die ideale Liebe' hier nicht besonders deutlich ausgeführt. Auf dem Rückweg vom Fenster schlägt Dorothee Müller Heinz mit dem Tuch auf die Schulter und macht deutlich, daß sie andere Interessen hat, als ihm ihr Ohr zu leihen: "Jetzt sei doch 'mal still!". Dorothee Müller bittet um Ruhe für eine 'Zeugin und 'Fürsprecherin' der probatio. Im Fernsehen redet die in Deutschland weitgehend unbekannte Amerikanerin Debi Sundahl, eine lesbische Stripperin und Pornoproduzentin aus San Franzisco[90]. 'Diskurs über die Pornographie' wird hier zu einem spezifisch 'weiblichen': "I don't like the porn, that I see. Much of it is boring. (...) There has not been any porn for women. It's all been created for men" (E 102). Die Pornographie wird nicht verurteilt; unterschieden wird zwischen einer Pornographie für Männer ("boring") und einer Pornographie für Frauen ('nicht-langweilig'), die erst noch geschaffen werden muß: "This is a way for us to make it different, to put our expertise into film, into visuals". In Weiterführung bisheriger Propositionen wird auch hier die gesellschaftliche Machtverteilung für den 'defizitären' Zustand der Frau verantwortlich gemacht (vgl. E 102 ff.).
Die Ausführungen führen zu der Schlußfolgerung: "Women's time has come to be sexual" (E 105) und deuten bereits hier auf den Gang der Handlung im zweiten Teil des Filmes hin und formuliert das später vertretene zentrale Beweisziel. Die Deutlichkeit dieser Forderung wird zurückgenommen durch Überlagerung der Stimme Debi Sundahls mit der von Heinz. Dieser fordert: "Darüber solltest du einmal einen Bericht machen. Damit könntest du doch viel mehr Geld machen als mit deinen blöden Untersuchungen" (E 105). Dorothee Müller reagiert aggressiv, denn noch erkennt sie nicht, daß Heinz bereits ihre spätere Entwicklung vorwegnimmt. Sich mit Pornographie kommerziell auseinanderzusetzen, empfindet Dorothee Müller hier noch als anrüchig. Doch begibt sie sich nun in eine aktive Rolle. Ihr 'Mord' an Heinz ist ein 'symbolischer'. Sie ersticht ihn nicht mit der Schere, sondern schneidet ihm eine Haarsträhne ab und rekurriert auf seine Erzählung von dem Horrorfilm: "Sei froh, daß ich dir nicht die Schädeldecke aufsäge!" (E 105). Implizit charakterisiert Dorothee Müller so ihr Beisammensein mit Heinz als 'Horror', den sie nun symbolisch beendet.
2.4.2.7. Conclusio: Die räumliche Trennung
Die zehn Sekunden dauernde E 106 signalisiert, daß seit der letzten Episode Zeit vergangen ist; es ist Abend. Dorothee Müller ist allein in ihrem Appartement, das unordentlich wirkt. Der aus der ersten narratio bekannte tropfende Wasserhahn und das verstopfte Waschbecken (E 108) bezeichnen ihre unverändert desolate Situation, der sie sich - wie sich aus dem weiteren Verlauf der Handlung ergibt und hier mittels Dorothee Müllers Kofferpacken angedeutet wird - durch eine Reise entziehen will. Die den Bildern hinterlegte monotone Musik, deren Text die Wörter "Die Liebe" perpetuiert, weist ebenfalls auf Stagnation hin. Dorothee Müller als Vertreterin der 'Figurenebene' folgt hier bereits nicht mehr dem Beweisziel, die 'ideale Liebe' mit einem Mann leben zu wollen; der 'fiktive Autor' allerdings setzt keine deutlichen Signale, sondern betont die 'Stagnation' und suggeriert, hier würde es sich um eine weitere narratio der bekannten probatio handeln. Das Lied kann als elliptisch konstruierte Tautologie aufgefaßt werden (Die Liebe [ist] die Liebe), gleichzeitig als Frage ([Was ist] die Liebe [?]) und weckt so die Erwartung auf eine Antwort.
2.4.2.8. Recapitulatio mit conclusio: Dorothee Müllers Schreckensvisionen - Bruno ist homosexuell und so als 'Partner für die 'romantische Liebe' verunmöglicht
Die Antwort auf die von Dorothee Müller in der insinuatio gestellte Frage "Auf jeden Fall wollte ich wissen, was das ist: Liebe", die das Lied wieder in Erinnerung ruft, formuliert die Bildebene ex negativo als commemoratio in Form von Dorothee Müllers Gedanken, Erinnerungen und Visionen. Die 'biologischen' Argumente werden metaphorisch durch naturwissenschaftliche Mikroskop- und Endoskopaufnahmen abgerufen, mit deren letzterer die Sequenz beginnt (E 111). Die Episoden um Bruno, die bislang als Konzessionen der probatio an die 'Gegenpartei' gehalten wurden, finden ihren Abschluß in einer weiteren Episode, die sämtlichen bisherige Konzessionen entwertet und sie damit zu Elementen der refutatio macht. Bruno ist homosexuell (E 114 u. E 117). Er zieht es vor, zu seinem männlichen Liebhaber zu gehen. Die Schritte und das Türzuschlagen, die E 112 unterlegt sind, sind die einzig zusätzlich zur Musik zu hörenden Geräusche der gesamten Sequenz und betonen somit die argumentative Wichtigkeit dieser Episode: Dorothee Müller kann die 'ideale Liebe' auch mit Bruno nicht leben, sie kann ihn nicht halten (E 112).
Heinz, das 'Paradepferd' der probatio, wird nochmals negativ gezeichnet. E 123 f. suggerieren einen Geschlechtsakt zwischen Heinz und Dorothee. Heinz erotisierter Gesichtsausdruck in Untersicht (E 123) zeigt eine gegensätzliche Empfindung zu der ausdruckslosen Mimik Dorothee Müllers in E 124 (leichte Aufsicht). Die folgenden beiden Einstellungen formieren eine Parallele zwischen Heinz' ausgiebigem Schneuzen und der Ejakulation. Die Sexualität dient dazu, dem Mann 'Erleichterung' zu verschaffen - und erinnert aus subjektiver, Dorothee Müllers Sicht, an die Proposition, die zweigeschlechtliche Sexualität als 'männliches Vergnügen' kennzeichnet.
Die Sequenzen aus der Junggesellenmaschine des Jim Whiting[91] greifen den Aspekt 'Geschlechterkampf' noch einmal auf. Der insektenhaften 'Frau' (E 115 f.) werden die leeren Herrenanzüge (E 118) gegenübergestellt. Mann und Frau sind nicht nur Mangelwesen, sie sind füreinander unerreichbar. Die Montage deutet eine 'männliche' Sichtweise der Frau an. Entsprechend führt die Montage die surrealistische Darstellung des Mannes in Dorothee Müllers Blick über. Die Detailaufnahme von Dorothee Müllers Auge erinnert an die bekannte Szene in Buñuels "Chien Andalou".[92] Durch diese Anspielung wird der Aspekt 'Bürgerlichkeit' in Erinnerung gerufen und gleichzeitig kritisiert.
Die Antwort auf die "Frage nach der Liebe" lautet also hier: 'Dorothee Müller findet keine 'ideale Liebe' mit einem Mann. Heterosexuelle Beziehungen sind generell nicht dazu geschaffen, die Frau glücklich zu machen, denn sie dienen nur dem Vorteil des Mannes und damit der Konsolidierung einer 'patriarchalisch' strukturierten, 'bürgerlich' sozialisierten Gesellschaft und der 'Unterdrückung der Frau.'
2.4.2.9. Recapitulatio: Nochmals ein männlicher Eindringling: der 'perverse' Anrufer
Die recapitulatio wird abgeschlossen durch das Klingeln des Telefons und das Ausblenden der Musik. Die Montage schließt an die Einleitung der 'Visionen', E 110, an. Dorothee Müller wendet ihren Blick von der 'Innenwelt' wieder ab. Sie bedient das Telefon. Sie wird von einem Mann angerufen, der ihr einen sexuellen Antrag macht ("Stöhnen" als Eingang seines Monologs). Dieser Mann sucht eine 'emanzipierte' Frau, macht das Bedrohliche der Emanzipation zu Lust und versucht so, die Frau wiederum zur Erfüllungsgehilfin männlicher Bedürfnisse zu machen:
"Ich habe gehört, Sie machen eine Untersuchung über die romantische Liebe. Wissen Sie, ich suche eine Akademikerin, eine dieser Frauen,
die Macht haben in der Wirtschaft, das ist wie eine Droge für mich. Zweitausend Jahre war das andersrum, aber die Frauen, die Frauen sind doch viel stärker als die Männer" (E 127
f.)
Der Wunsch nach 'idealer Liebe', den auch dieser Mann hegt, findet seinen Ausdruck in der Verurteilung der materiellen Seite einer Beziehung und in der Betonung der 'ideellen' Aspekte. Gleichzeitig wird die 'ideale Liebe' auch hier mit Bürgerlichkeit konnotiert ("Mercedes", "Haus"):
Seit zwanzig Jahren trage ich mein Geld in diese Clubs. (...) Ich bin immer betrogen worden. Einen Mercedes und ein Haus hätt' ich mir kaufen können. (...) Die Frauen in den Clubs sind ja null so veranlagt, die machen das ja nur wegen dem Geld. (E 128 ff.)
Daß diese Wunschvorstellung eine bestimmte Erziehung und Sozialisation widerspiegelt, deutet der Mann mit Aussagen über seine persönliche Geschichte an: "Meine Familie kommt aus der Oberschicht, die sind ganz autoritär. Mein Onkel war bei der Waffen-SS. Ich bin abgestiegen". Die Montage führt in die Wohnung des Anrufers, der für 'Insider' als der Regisseur Hans-Christoph Blumenberg zu identifizieren ist. Wieder also wird der mit Heinz alias Gad Klein begonnene Diskurs aufgenommen.
Die 'infantile' Seite des 'perversen' Anrufers wird mittels seiner Interjektion "Ja, Mutter!" (E 133) ausgedrückt; implizit substituiert die 'autoritäre' Mutter, bei der der erwachsene Mann noch wohnt, die herbeigesehnte 'mächtige' Geliebte.
Der 'materialistische' Diskurs wird wieder aufgenommen, indem der Anrufer zu suggerieren versucht, auch die Frau hätte 'Vorteile', wenn sie seine 'Erfüllungsgehilfin' werde. Die implizite Norm ist die heterosexuell ausgestaltete Zweisamkeit. Deren 'normale' Machtverteilung wird hier scheinbar umgedreht wird und bleibt doch dieselbe:
Es gibt doch so viele alleinstehende Akademikerinnen, die sind doch alle so frech, die finden doch keinen Mann. Ich ordne mich gerne unter, ich wär' da der Richtige. Oder die Lesben, die finden doch auch keinen, da wär' ich auch der Richtige. (E 133 ff.)
Dorothee Müller ist nicht mehr bereit, dem Anrufer ihr Ohr zu leihen. Während des Anrufs versucht sie, ihre Badewanne, die ebenfalls verstopft ist, zu säubern und wäscht sich die Haare, hat also ein Bedürfnis nach 'Reinigung' auch von dem 'Schmutz' ihrer desolaten Situation. Sie macht den Anrufer, der sich selbst durch seine als albern zu durchschauende Argumentation disqualifiziert, nochmals lächerlich, indem sie den Hörer weglegt, ihn reden läßt und ihren Beschäftigungen weiter nachgeht.
Die Argumente des 'perversen' Anrufers werden mittels concilatio (HB § 783) zu Argumenten der probatio.
Da die Sequenzen von TC 0:25:16-0:31:29 als peroratio (vgl. HB § 431-442) der als selbständig aufgefaßten Rede des ersten Teils des Filmes (Deutschland) gelten können, dient dieser Exkurs um den 'perversen'[93] Anrufer hier gleichzeitig der nochmaligen Gedächtnisauffrischung und der Affektbeeinflussung mittels ridiculum. Die Figur Dorothee Müller und der 'impliziter Autor' argumentieren gleichläufig: Der männerzentrierte Erotikdiskurs mit all seinen Machtmechanismen ist durchschaut und keiner Gegenrede mehr wert. Nun gilt es, 'zu neuen Ufern' aufzubrechen.
2.4.2.10. Conclusio: Dorothee Müller verläßt den Raum der Männer
Dorothee Müller steigt auf das Flachdach eines Hochhauses. Der Blick auf Dorothee MÜllers Beine (Handkamera; E 137) suggeriert eine Verfolger, den es nicht gibt. Auch E 138 macht auf die 'Gefährlichkeit' dieses Aufenthaltortes aufmerksam; das Haus ist sehr hoch und es gibt keine Brüstung. Gleichzeitig ist die Welt aus dieser Perspektive sehr klein. Die Höhe bringt auch eine gewisse Distanzierung zum 'theatrum mundi', zu der die Welt hier durch den Einsatz von Kirmesgeräuschen und -inventar in Abwandlung der bisherigen Besetzung dieses Bildes als Liebesmotiv gemacht wird. In dieser verwirrend gezeichneten Welt kommt Dorothee Müller auf ihre Mutter zu sprechen: "Meine Mutter hat mir immer nur Geld geschickt aus Amerika" (E 139). Dorothee Müller sehnt sich nach einer nicht-materiellen Zuwendung, die im Kontext des bisher Gesagten und als Gegengewicht zur 'Bedrohlichkeit' des hier gezeigten Ortes zu einem Zustand der 'Geborgenheit' führen soll. Die Kamera kommt mit Dorothee Müller in E 141 zur Ruhe, in der die Off-Stimme Dorothee Müllers ihre Notizen vorliest:
Wisse, daß rechts von Indien eine Insel liegt, die California heißt. Sie ist die unzugänglichste Insel der ganzen Welt und so schön, daß man sie nur mit dem Paradiese vergleichen kann. Auf dieser Insel gibt es keine Männer. Sie wird von schwarzen Frauen bewohnt, die wie Amazonen leben. Ihre Waffen sind aus Gold und aus Gold sind auch die Geschirre ihrer wilden Reittiere"[94] (E 141).
Mit dem Satz "denn auf der ganzen Insel gibt es kein anderes Material als Gold, der als transitus eingesetzt wird, befindet sich Dorothee Müller bereits in Amerika. Inhalt und sprachlicher Duktus dieser Utopie erinnern an einen Reisebericht aus Kolumbus' Zeiten, machen Dorothee Müller also zur 'Entdeckerin Amerikas'. Amerika ist nicht nur der Raum ihrer Mutter, sondern wird auch als 'Raum der Frauen' imaginiert. Diese elliptische Konstruktion beinhaltet die conclusio, daß Dorothee Müller die Konsequenz aus ihrer bisherigen Recherche und den persönlichen Erlebnissen gezogen hat, sich von den Männer und ihrem Begehren, mit einem von ihnen die 'ideale Liebe' zu leben, verabschiedet und damit Deutschland, den 'Raum der Männer' verläßt.
2.5. Zweiter Teil des Films (Amerika)
2.5.1. Zweites exordium: Die vergebliche Suche nach der Mutter
Der fiktive Autor führt das in der vorhergehenden Episode geschaffene Amerika-Bild ad absurdum und charakterisiert es so zunächst als Utopie. Der vorhergehenden akustischen Aussage: [die Insel California] "ist so schön, daß man sie nur mit dem Paradiese vergleichen kann" wird in einer auffallend langen, weil monotonen und handlungsarmen[95] Sequenz der Anblick einiger desolater Straßenzüge entgegengesetzt (demonstratio ad oculos), deren verwahrloster und ärmlicher Zustand wiederum in direktem Kontrast zu dem unterlegten transitus steht[96]: "denn auf der ganzen Insel gibt es kein anderes Material als Gold".
Das in E 146 gezeigte Graffito greift den Aspekt 'Mutter' als Anklage gegen gesellschaftliche Strukturen auf: Der Mutter, die mit schreiend aufgerissenem Mund einen nackten Säugling über sich hält, wird innerhalb des Bildes ein Mann entgegengesetzt, der wie abwehrend seine Hand in Richtung der Frau hält; die die Figuren umgebenden und die Kleidung der Frau bildenden Streifen nehmen wellenartige Formen an, so daß die Figuren in einem Strudel zu versinken scheinen. Die eine Familie bildende 'Trias' Mutter, Vater, Kind wird aufgelöst zunächst durch die Abwendung des Vaters von Frau und Kind, dann auch durch die Abwendung der Mutter vom Kind. Sie hält es nicht an sich gedrückt, sondern streckt es von sich. Alle drei sind 'Opfer' eines wie notwendig erscheinenden egoistischen Kampfes ums Überleben, am hilflosesten ist das nackte Kind. Der Anblick des Graffitos wird mit der nächsten Einstellung in Dorothee Müllers Blick überführt, der innerhalb dieser Einstellung 147 mit dem der Zuschauer auf drei an einem Zaun stehende farbige Kinder fällt und ihre Geschichte mit der auf dem Graffito erzählten gleichsetzt. Die Umkehrung des Blicks in E 148, in der nach den point-of-view-Regeln die drei Kinder Dorothee Müller nachblicken, macht auf ihre Besonderheit als Weiße aufmerksam: Innerhalb dieses Ambientes wird ihre soziale und materielle Position, die in den Deutschland-Sequenzen nicht besonders hoch angesetzt wurde, aufgewertet. Auch ihre Situation als 'Kind' ist eine andere und nicht ganz so desolate wie die der hier aufwachsenden Kinder; Dorothee Müllers Mutter hat ihr immerhin noch Geld geschickt.
Das neue exordium transformiert den Prooemialtopos der "epideiktische[n] Schilderung eines schönen Gegenstandes (Natur, Frühling)" (HB § 271, E, Â'; vgl. auch HB § 282) in sein Gegenteil. Durch die Enttäuschung der vorher geweckten Erwartung nach einem schönen Ort soll das attentum parare des Publikums gesichert werden; diese Diskrepanz wirkt 'witzig' (vgl. HB § 271, E, ß') und enthält so auch das Moment des delectare. Der 'fiktive Autor' tadelt (vgl. HB § 276) die Naivität der Figur Dorothee Müller wieder mittels ridiculum und erreicht so die intellektuelle Distanzierung der Zuschauer. Gleichzeitig wird die Distanz wieder aufgehoben: Kameraführung und Montage lassen die Zuschauer Dorothee Müllers Blickwinkel einnehmen. Somit wird Dorothee Müllers sich orientierendes Umherblicken[97] als aufmerksamkeitsschaffender Effekt zur Eröffnung eines sozialkritischen Diskurses funktionalisiert, der zum einen auf die von Deutschland verschiedenen sozialen Gegebenheiten in Amerika aufmerksam macht und zum anderen die Mutterproblematik aufgreift.
Nach diesen einstimmenden Sequenzen setzt mit E 150 die eigentliche Handlung (TC 0:32:35-0:33:54) ein. Dorothee Müller findet den vermeintlichen Ort ihrer Mutter. In der an prädestinierter Stelle im Bildvordergrund stehenden schwarzen Frau läßt sich zunächst eine jener in der Amerika-Utopie angesprochenen 'Amazonen' vermuten. Dorothee Müller klingelt an der Tür eines Hauses. Eine Chinesin öffnet. Dorothee Müller fragt sie nach ihrer Mutter und erhält eine mit übelsten Schimpfwörtern versehene abweisende Antwort, die wieder auf das soziale Niveau der Gegend verweist und (deutschsprachige Zuschauer) auf die Eigenart des Amerikanischen, Schimpfwörter aus der Sphäre des Sexuellen zu nehmen und damit implizit auch das Sexuelle negativ zu bewerten, aufmerksam macht: "That fucking bitch! She owes us five weeks' rents" (vgl. E 152). Auf ihre Nachfrage "Aber ... where is she now?" wird Dorothee Müller abgewiesen. Die Information, daß Dorothee Müllers Mutter ihrer Vermieterin die Miete schuldig blieb, wertet die vorhergehende Information: "Meine Mutter hat mir immer nur Geld geschickt aus Amerika" auf. Zwar ist ihre Mutter ihr Liebe schuldig geblieben, aber immerhin hat sie ihr Geld geschickt. 'Geld' steht nicht mehr in einer einfachen Opposition zu 'Liebe', sondern wird unter diesen sozialen Umständen zum 'Zeichen der Fürsorge'.
Die Schwarze (vgl. E 155) scheint Dorothee Müller ihre Hilfe anzubieten, sich also 'solidarisch' mit ihr zu verhalten: "Are you looking for an old German Lady? (...) I saw her in a cab, drive away", enttäuscht die hoffnungsvolle Dorothee Müller aber sofort wieder, da sie nicht bereit zu sein scheint, ihr weiteres Wissen kundzutun: (vgl. E 155), sie ist keine 'Amazone'. Die Mutter bleibt nach wie vor eine Fiktion, der vermeintliche Ort der Mutter erweist sich als Utopie. Die als genuin 'unsexuelles' Phänomen aufgefaßte 'Mutterliebe' wird im psychoanalytischen Diskurs auch 'erotisch' interpretiert; die "Jungfrauenmaschine" greift diesen Diskurs in den Episoden 'Hormonforscher' und 'perverser Anrufer' auf. Anschließend an die im ersten Teil des Films (Deutschland) geltenden Propositionen darf die 'Mutterliebe' als Teilaspekt der 'idealen Liebe' aufgefaßt werden. Die Situierung auch dieses Aspekts im 'Raum der Utopie', die hier mittels demonstratio ad oculos nochmals vorgeführt wird, machen diese Episode zum Bestandteil der probatio: Die 'ideale Liebe' ist auch im Teilaspekt 'Mutterliebe' nicht möglich.
Der Junge, der Dorothee Müller in der letzten Einstellung dieser Sequenz hinterherläuft und ihr 'Avancen' macht ("Hey, Lady, you've got a funky get up!", E 155 f.) bildet eine Parallele zu dem Jungen im Hof in Deutschland (prooemium, E 6 a). Im Gegensatz zu den Deutschland-Sequenzen, in denen sich Dorothee Müller als einzige Frau in einem Raum der Männer bewegte, bewegt sie sich hier in einem Raum der Zweigeschlechtlichkeit. Die Kindergruppen sind gemischtgeschlechtlich, die Chinesin erhält Unterstützung von einem neben ihr wohnenden Mann (E 152) und auch der Schwarzen wird in E 151 ein Mann beigeordnet. Damit wird Dorothee Müllers Vorstellung von 'Amerika als Land der Frauen' zunächst einmal infrage gestellt. E 157 thematisiert den Gegensatz zwischen der Erwartung Dorothee Müllers und der Realität mittels einer langen Verweildauer auf ihrem versunken lächelnden Gesicht. Diese Passage, in der Dorothee Müller Bus fährt, bildet gleichzeitig eine transitus zu der folgenden Sequenz.
2.5.2. Zweite narratio
2.5.2.1. Refutatio: Ramonas 'Verheißung' von der romantischen Liebe
Diese Sequenz (TC 0:34:11-0:37:48) behandelt neben dem handlungsvorantreibenden Aspekt 'Dorothee Müller lernt in Ramona die vermeintliche Partnerin für die ideale Liebe kennen' verschiedene Nebenaspekte: Auf dem Weg in ihr Hotelzimmer wirft Dorothee Müller einen Blick durch die halbgeöffnete Tür eines gegenüberliegenden Hotelzimmers. Dieser Blick wird durch die Beleuchtung, die in E 195 Dorothee Müllers sich im Profil befindliches Auge focussiert, betont und durch die Montage mit der nächsten Einstellung in den Blick der Zuschauer überführt. Im Zimmer befindet sich ein Paar; der Mann trägt eine Maske und spielt schalenartige Metallinstrumente, die Frau tanzt langsam zu dem Klang, schlägt sich dabei mit einer Peitsche und hat die nackten, tätowierten Brüste abgebunden; dieses mit sadomasochistischen Zeichen verquickte Ritual hat eine deutlich sexuelle Implikation. Die Zuschauer befinden sich mit Dorothee Müller in der Rolle von 'Voyeuren'. Im Gegensatz zur 'klassischen Symptomatik' des Voyeurismus zieht Dorothee Müller aus dem Anblick der bizarren Praktiken des im Zimmer befindlichen Paares (E 160) jedoch keinen Lustgewinn; ihre Distanznahme (E 161) ist gleichzeitig ein Mittel der Wertung und der Schaffung von Distanz durch den 'fiktiven Autor', der den 'moralischen Appell' jedoch gleich wieder zurücknimmt: Dorothee Müller läßt als 'Zeichen ihrer Nervosität' den Zimmerschlüssel fallen. Diese Nervosität ist angesichts ihrer unbemerkten Position unangemessen und bildet ein ridiculum, Dorothee Müller disqualifiziert sich selbst als 'Normmächtige'.
In dem Paar wird eine weitere Antwort-Variante auf die Fragestellung "... was das ist - Liebe" (E 16) und in der gesamten Situation der status quo von Dorothee Müllers Verhaltensweisen vorgeführt: Sie steht außen und beobachtet.
Auf dem Tisch steht ein Photo Brunos; Dorothee Müllers Tätigkeit, einen Brief an Bruno zu schreiben, bildet einen topos scribendo solari[98].
Das Geschehen im Hotelzimmer greift weiterhin die Darstellung der Gegebenheiten in Amerika auf. Dorothee Müller schaltet den Fernseher ein; den beiden sich des Mediums 'Fernsehen' bedienenden 'Statements' im Deutschland-Teil des Filmes wird im Amerika-Teil nun ein kaleidoskopartiges Melange an Aussagen entgegengesetzt: Der Papst [aus lat. papa; 'Patriarch des Abendlandes'] als Oberhaupt der katholischen und eines im Rahmen des Films metaphysisch, lustfeindlich und patriarchalisch ausgestaltet dargestellten[99] Lebenskonzepts steht ohne hierarchische Gewichtung gleichberechtigt neben der Lust anbietenden Ramona und der Befriedigung versprechenden Werbung. Die Reagan[100]-Puppe auf dem Fernseher und die Sendung über den Papst-Besuch[101] ordnen die erzählte Handlung des Films zeitlich dem Jahr 1987 zu; gleichzeitig weisen die beiden 'ersten Männer' als höchsten Repräsentanten von Staat und Kirche auf das 'konservative', 'saubere' Amerika hin. Die erste Werbesendung, in der ein kleiner Junge, der sich leicht am Ellenbogen verletzt hat, zu seiner Mutter läuft, greift den in Deutschland mit Heinz, dem Hormonforscher und dem 'perversen' Anrufer eingeführten Topos des 'Muttersöhnchens' in seiner genealogischen Variante auf und überträgt diesen Sachverhalt auf die Verhältnisse in Amerika. Die zweite Werbesendung thematisiert den Aspekt 'Geld' in seiner bürgerlichen 'Spar'-Variante (vgl. E 168) mittels der im Gegensatz zu Deutschland in Amerika erlaubten aggressiven vergleichenden Werbung. Dorothee Müller kann sich der Attraktivität der 'bunten Bilder' nicht entziehen. Sie läßt von ihrem eigentlichen Vorhaben, einen Brief an Bruno zu schreiben, ab und sieht fern.
Den Papst-Sequenzen wird als direkte Opposition Ramona nachgeschaltet. Sie stellt sich namentlich nicht nur Dorothee Müller, sondern auch dem Publikum vor, bezeichnet sich als Therapeutin, formuliert Dorothee Müllers 'Leiden' explizit und verspricht eine Lösung:
"Hi! My name is Ramona. I'm a therapist. You may not know this, but maybe you are addicted to romantic love. My therapy could help you find a way out. So please, call now, toll free, nine-seven-six-LOVE" (E 175 ff.)
Ramona ist eine 'attraktive' Frau; Ihre Aussagen, Kleidung, Schminke und ihre Mimik bilden einerseits erotische Signale, anderseits in ihrer Überzeichnung auch ein ridiculum. Die Montage schneidet ihre Abbildung in Großaufnahme im Fernseher mit der Dorothee Müllers, die von ihr fasziniert ist und unruhig wird, die Aufforderung Ramonas gleich in die Tat umsetzt und Ramona anzurufen versucht. Wie bereits in Deutschland mißlingt der Versuch der nicht-persönlichen Kontaktaufnahme, es meldet sich ein Anrufbeantworter auf den Dorothee Müller spricht. Sie betont das 'berufliche' Interesse an einem Treffen; ihre gesamte Gestik und Mimik spricht jedoch von einem persönlichen Interesse.
2.5.2.2. Refutatio: Dorothee Müller hat sich in Ramona verliebt
Dorothee Müller sitzt am Meer (TC 0:37:48-0:38:36). Der 'fiktive Autor' charakterisiert ihre Gefühlslage mittels des musikalischen 'Sehnsuchtsmotivs' im Off und durch die mise-en-scène der 'romantischen' Meereskulisse. Das Zeichen 'Buch' mit der Seitenüberschrift "Der Lebenslauf Romeos und Julias" deutet auf gesellschaftliche Hindernisse, die einer erfüllten 'idealen Liebe' im Wege stehen; das Zeichen 'Skelettpüppchen im Hochzeitsornat' betont den 'vanitas'-Aspekt der Liebesdiskussion und macht auf die Vergänglichkeit eines als ewig geforderten Gefühls aufmerksam. Dorothee Müllers 'Gedankenstimme' macht diese auf die 'ideale Liebe' verweisenden Zeichen explizit: "Ich glaube, ich habe mich schon wieder verliebt" (E 183). Als Liebespartnerin kommt nur Ramona infrage. Der Eindruck vom bereits in der vorhergehenden Sequenz durch gestische und mimische Codes angedeuteten Interesse Dorothee Müllers an Ramona wird durch die verbale Aussage verstärkt; die im ersten Teil des Filmes auf die heterosexuelle Lebensgemeinschaft bezogene Liebeskonzeption wird nun auf die homosexuelle übertragen.
2.5.2.3. Exkurs: Die Beweisziele des zweiten Teils - Amerika
Mit dem Ortswechsel nach Amerika greift die Erzählung die zeitliche Ebene des Off-Kommentars der insinuatio ("Damals in Hamburg ...", E 12 ff.) auf und führt sie weiter. Im Gegensatz zu der insinuatio des Deutschland-Teils wird im neuen exordium keine divisio gegeben; das Interesse der Zuschauer soll also weniger dem 'Wie' als mehr dem 'Was' gelten. Die gesamte Problematik der 'idealen Liebe' wird zunächst auf die Frauen übertragen. Suggeriert wird, Dorothee Müller fände in einer Frau (Ramona) die Partnerin für die 'ideale Liebe'. Die Diskrepanz zwischen 'Utopie' und 'Realität' scheint in der Beziehung zwischen Dorothee Müller und Ramona zunächst aufgehoben. Dieses vorgetäuschte Beweisziel wird in der 'Peripetie' (TC 1:10:01-1:11:44) entwertet, die Handlung findet hier ihren Wendepunkt. Von dieser Peripetie aus lassen sich jene vorher als Varianten der 'semantischen Klärung des Begriffs Liebe' funktionalisierten Aussagen des Films als Ausdruck des zentralen Beweiszieles lesen; sie bilden daher die probatio.
Es seien folgende für den zweiten Teil des Filmes (Amerika) geltenden Beweisziele formuliert:
Beweisziel auf Figurenebene (quaestio finita):
1. semantische Klärung des Begriffs 'Liebe'
2. Dorothee Müller findet in Ramona die Partnerin für die 'ideale Liebe'.
Beweisziel der quaestio finita: ('fiktiver Autor'; ambivalentes Verhalten bis TC 1:10:01)
1. vorgetäuschtes Beweisziel:
Dorothee Müller findet die 'ideale Liebe'in der Beziehung mit einer Frau.
2. tatsächliches Beweisziel:
Dorothee Müller findet keine 'ideale Liebe'in der Beziehung mit einer Frau.
zentrales Beweisziel/Redeziel der quaestio infinita: ('idealer Autor'):
Die 'ideale Liebe' ist auch in bezug auf die homosexuelle Beziehung eine Utopie und somit nicht in die Realität umzusetzen, sondern der Lächerlichkeit preiszugeben. Dieses Konzept soll durch 'Lust' ersetzt werden.
2.5.2.4. Probatio: Dorothee Müller findet eine Freundin: Dominique
Der 'Liebesdiskurs' findet seinen Abschluß in E 184. In dieser Einstellung ist in einer Totalen ein Kriegsschiff auf dem Meer zu sehen, das, gelesen als Anspielung auf den Topos des locus amoenus, auf das Konfliktträchtige des Versuchs, die 'ideale Liebe' in die Realität umzusetzen, hinweist - wenn nicht sogar durch das gleichzeitige Ausblenden der 'romantischen' Musik das spätere Scheitern der 'idealen' Liebesbeziehung zwischen Dorothee Müller und Ramona vorformuliert wird.
Dorothee Müller wird von ihrer Lektüre aufgeschreckt durch das Hinzutreten einer etwas älteren Frau (Dominique). Diese Frau setzt sich neben sie und spricht sie auf deutsch an. Das Gespräch der beiden (TC 0:38:36-0:41:05) greift verschiedene Aspekte auf:
(1) den Diskurs um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Amerika: Die Kosmopolitin Dominique (vgl. E 189) charakterisiert die Deutschen globalisierend als schlecht gelaunte, materiell orientierte, ordnungsliebende, unsensible Menschen und weist auch Dorothee Müller 'deutsche' Charaktereigenschaften zu (vgl. E 185). (2) Die im Hinblick auf die zu verhandelnde causa untergeordnete Frage (Welche 'deutschen' Eigenschaften bedingen die Liebeskonzeption Dorothee Müllers?) wird als quaestio infinita ('Was sind 'deutsche' Eigenschaften?') in einem locus a maiore ad minus auf die quaestio finita der zu verhandelnden causa übertragen; Dorothee Müllers Liebeskonzeption, die in realitas 'Liebe' mit 'Leid' gleichsetzt, wird hier geschildert als spezifisch 'deutsches' Problem. So nennt Dorothee Müller in der Unterhaltung mit Dominique den Titel des Buches "Über die Liebe und die Abgründe des Gefühls"[102] (E 192), das der 'fiktive Autor' zu Beginn der Einstellung tatsächlich als signum für Dorothee Müllers Gefühlszustand funktionalisiert hat, und das auch auf Figurenebene von Dominique als solches interpretiert wird: "Sie leiden doch hoffentlich nicht darunter, hm?" (E 193). Dorothee Müller antwortet nicht direkt auf diese Frage, sondern verneint sie indirekt: "Ich schreibe an einer journalistischen Untersuchung über die romantische Liebe. Deswegen bin ich hier" (E 193). Erneut wird die Diskrepanz zwischen 'Utopie' und 'Realität' thematisiert. Hier zeigt sich in der Parallelisierung von Dorothees Reportage und dem Traktat, wie antiquiert ihr Begehren doch ist.
(3) Gleichzeitig gibt die Figurenrede auch dem 'idealen Publikum' einen Grund für Dorothee Müllers Aufenthalt in Amerika an. Der abrupte Ortswechsel zwischen Deutschland und Amerika wird nachträglich motiviert. (4) Mit Dominiques Erzählungen aus ihrem Privatleben wird der Diskussion um mögliche Liebeskonzeptionen eine weitere Variante zugesellt. Auch Dominique, die Ältere der beiden, muß einmal mit der 'idealen' Liebe schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ihre aus dieser Erfahrung resultierende Lebens- und Liebeskonzeption charakterisiert sich durch die Abwesenheit von Sexualität, ein mit der Schwester gelebtes 'Freundschaftskonzept' und eine 'mütterliche' (= sorgende) Komponente:
"Ich wohne deswegen mit meiner Schwester und meiner großen Liebe. Er heißt Susu. Und er ist ein häßlicher, dürrer Kater, den ich aus der Mülltonne herausgeholt habe, bedeckt mit Flöhen, hager, traurig, er weinte. Ich schaute ihn an und sagte: 'Mein Lieber, auf dich werde ich aufpassen!" (E 194 f.).
Der Kater steht hier für die getretene Liebe, deren Hilflosigkeit und Ausgeliefertheit. Dominique hat mit ihrer Fürsorge ein Stück verstoßener Liebe hinübergerettet.
(4) Mittels der Groß- und Nahaufnahmen der Schuß/ Gegenschuß-Montage (E 186-195) wird die sich langsam entwickelnde Sympathie der beiden Frauen zueinander formuliert. Die Art der Sympathie wird zunächst noch ambivalent gehalten: Die diese Sequenz abschließende E 196, in der in einer Totalen die beiden Frauen in der mise en scène einer 'romantischen Naturkulisse' (Strand bei Sonnenuntergang) situiert werden, hält die Möglichkeit offen, Dorothee Müller habe in Dominique die Partnerin für die 'ideale Liebe' gefunden; tatsächlich werden die beiden keine Geliebten, sondern Freundinnen.
2.5.2.5. Insinuatio: Halloween
Diese fast eine Minute dauernde Sequenz (TC 0:41:05- ca. TC 0:42:01)[103] installiert mit der ersten Einstellung (E 197) und der folgenden Montage Dorothee Müllers Blick auf einen Halloween-Umzug. Der Anblick der verkleideten Leute dient als 'Augenkitzel' dem delectare des 'idealen Publikums'; das mit Reizwäsche behängte Skelett (E 202) greift den bereits in der vorhergehenden Sequenz ähnlich formulierten 'vanitas'-Aspekt auf; gleichzeitig wird das Amerikabild um eine weitere pittoreske Variante, die einen Kontrast zu der in E 162 ff. geschilderten Werbewelt bildet, ergänzt.
Die Sequenz ist semantisch vieldeutig; festmachen läßt sich die Opposition zwischen der verkleideten, agierenden Menge und der allein stehenden, nicht-verkleideten, reagierenden Dorothee Müller. Sie steht außen, beobachtet und nimmt nicht am Geschehen teil. Mittels des Verkleidungs-Motivs bildet diese Sequenz eine neue, auf die folgenden Strip-Sequenzen bezogene kleine insinuatio.
2.5.3. Zweite Argumentatio
2.5.3.1. Probatio: Dorothee im 'Raum der Lust'. Susie Sexpert: 'Lust' statt Liebe:
Die Frage nach 'Agieren' und 'Reagieren' der vorhergehenden Sequenz bildet eine inhaltliche transitus zu dieser Sequenz (TC ca. 0:42:01-0:44:37), die zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort eine neue Figur einführt. Gleichzeitig wendet sich eine Figur direkt an das 'ideale Publikum'. Diese Figur der Anrede (vgl. HB § 759) dient dem attentum parare; die 'Wichtigkeit' der folgenden Aussagen soll deutlich gemacht werden. Eine 'groß' abgebildete Frau stellt sich mit dem Blick in die Kamera vor: "I am Susie Sexpert ..." (E 204). Kostüme, Ausstattung und Maske bilden erotische Signale: Susie Sexpert ist eine sich ihrer Sexualität bewußte, eine 'attraktive' Frau, sie ist geschminkt und décolletiert. Im Bildhintergrund hängen zwei Poster, die zwei Frauen zeigen, die offensichtlich Prostituierte sind (vgl. E 204) und von Susie Sexpert ebenfalls vorgestellt werden: "... and these are some of my friends. This is Gina Bonbon and Candy Samples". Hier wird nun ein neuer Raum geöffnet: der der Prostitution als Gewerbe: "I have been going to stripshows for five years now ..." (E 204); außerdem macht Susie Sexpert ihr Rede- und Handlungsziel explizit: "... and there is nothing I like better than to bring other women into the audience (...) and I like it more, when other women enjoy erotic performances as much as I do". Im Gegensatz zur passiven und reagierenden Dorothee Müller sind Susie Sexpert und ihre Freundinnen aktive Frauen: "We are usually up on stage and we are not the ones who are watching ..." (E 204). Die 'sprechenden Namen' der beiden zitierten Frauen setzen 'Sexualität' mit einer Süßigkeit gleich ("Bonbon", "Candy"), werten sie also auf. Der Name 'Susie Sexpert' weist sie sofort als 'Expertin in Sachen Sexualität' aus, weckt die 'Neugier' des 'idealen Publikums' auf ihre Ausführungen (prodesse) und macht sie zu einer 'Autorität', die Gehör verdient. In dieser Rolle bildet Susie Sexpert einen Gegenpol zu dem 'Hormonforscher' des ersten Teil des Filmes. Im Gegensatz zu seinem 'Diskurs der wissenschaftlichen Verbrämtheit' spricht Susie Sexpert frank und frei; ihr Raum ist der öffentliche (Straße, außen). Ihr Ohrring mit dem Schriftzug 'Peace' weist implizit auf einen Gegensatz der Frau-Frau-Beziehung zu der Frau-Mann-Beziehung hin: 'Geschlechterkampf' vs. 'Solidarität'.
Nachdem das attentum parare des 'idealen Publikums' sichergestellt ist, wird die Figur der Susie Sexpert in die Handlung integriert: Dorothee Müller trifft auf der Straße auf die Handzettel verteilende Susie Sexpert und wird von ihr angesprochen (E 205). Susie Sexpert animiert Dorothee Müller, die Stripshow zu besuchen. Doch diese gibt vor, ihre Mutter suchen zu müssen. Dieser Suche bereitet Susie Sexpert ein endgültiges Ende. Dabei ist ihr Einwand (vgl. E 205), daß Dorothee Müller ohnehin zu alt sei, eher ironisch zu verstehen. Denn wenn Dorothee Müllers Mutter tatsächlich Stripperin gewesen sein sollte, dann wäre Dorothee Müller hier am Ziel ihrer Suche angelangt. So kann Susie Sexpert ihren Diskurs über die Sexualität nahtlos weiterführen: "Come, let me show you some of my girls here! This is Candy Samples, she is old enough to be your mother" (E 206). Wie vorher bereits der 'fiktive Autor' die Mutterproblematik in bezug auf Männer sexualisiert hat ('Heinz', 'Hormonforscher', 'perverser Anrufer'), so sexualisiert nun auf Figurenebene Susie Sexpert die Mutterproblematik in bezug auf die Frauen. Bei dieser Transformation der Diskurse fungieren die Brüste [lat.: mammae] implizit sowohl als pars pro toto und Sinnbild der Mutter, als auch gleichzeitig als erotisches Zeichen: "You can't buy these tits in a store. Nobody gets plastic surgery to get breasts that are this big, they are more like Fifty-Double-F-breasts, ..." (E 206 f.). Susie Sexpert hat eine eigene, neue Wertskala: Das Begriffspaar '(materieller) Vorteil' und 'Künstlichkeit' bewertet sie höher als 'Gefühle'; der erotische Diskurs zeigt sich hier gleichzeitig als materialistischer Diskurs:
"... and these women can go on and on and on. Candy Samples must be fifty-five, even older by now (...), and she tells you straight out, that she'll get rid of these breasts as soon as she retires, because the only thing they do for her is make money. They weigh thirty pounds each! And it's no fun to walk around with those size of breasts, but women who have those kinds of breasts, can make a living in this industrie for a long, long time" (E 207 ff.).
Für die Frau, die diese großen Brüste von Natur aus hat, sind sie eigentlich eine Belastung; als 'Fetisch' werden die Brüste ihrer 'natürliche Bestimmung' entfremdet, dienen dem Geldverdienen und werden, sobald sie diesen Zweck endgültig erfüllt haben, künstlich entfernt: die 'natürliche' Frau ist sich als 'Sexobjekt' selbst entfremdet, erst als 'Kunstprodukt' findet sie zu sich selbst. Gleichzeitig erweist sich im materialistischen Diskurssystem der 'Fetisch' stärker als individuelle Merkmale: "I think, it's rather incredible, it's not a pretty face that necessarily lasts the longest, but big tits will last forever!" (E 210).
Mittels eines zweiten exemplum wird die Frau-Frau-Beziehung schließlich explizit eingeführt: "This is Erica Boyer, she is the headlining act this week (...) And not only is she a big favourite among the straight people, who usually go see her, she also has a big fan club among lesbians" (E 211 ff); Dorothee Müller steht mit ihrem auf Ramona gerichtetem Begehren nicht allein; Amerika erweist sich mehr und mehr tatsächlich als jenes in der letzten Deutschland-Sequenz imaginierte 'Land der Frauen', in dem sich auch die Mutter in Form eines weiblichen Substituts finden läßt.
Hier gilt also:
Mutter = Nährende
Sinnbild der Mutter = Brüste
Ersatz für die Mutter = andere Frau
Mutter/Kind-Beziehung
= 'Befriedigung'/keine sexuelle Beziehung/ für
erwachsene Kinder unmöglich
Frau/Frau-Beziehung = 'Befriedigung'/sexuelle Beziehung/ für Erwachsene
möglich
Suche nach der Mutter = Unselbständigkeit
vs.
Beziehung mit anderer Frau = Selbständigkeit
[Schema 10]
Die Ausführungen der Susie Sexpert fungieren auf Figurenebene zunächst als weiteres Kapitel der "journalistischen Untersuchung über die romantische Liebe" (E 193). Dorothee Müller ist als Zeichen ihrer Recherche wieder mit dem Trenchcoat bekleidet und hält als weiteres Zeichen ihr Aufnahmegerät in der Hand 'fiktiven und idealen Kommunikationssystem' sind sie Teil der neuen probatio.
Susie Sexpert redet nicht von mehr von der 'Liebe', die sie längst als Utopie durchschaut hat, sondern von der 'Sexualität', die deren Stelle eingenommen hat. Sie macht einen 'glücklichen' Eindruck; Dorothee Müller zunächst einen 'unglücklichen', wie von Sexpert angedeutet wird (vgl. E 205): Im Sinne der probatio formuliert Susie Sexpert die Argumente für das zentrale Beweisziel: 'Frauen sollen sich aus 'metaphysischen' Liebeskonzeptionen zugunsten von 'weltlichen' lösen'.
Mittels einer Verabredung Susie Sexperts, zu der sie Dorothee Müller mitnimmt, wird ein Ortswechsel motiviert; Susie Sexperts Wunsch "... I keep wanting to talk to you, don't you want to hear some more?" (E 214) dient im Hinblick auf das äußere Kommunikationssystem als Versprechen, weitere Ausführungen hören zu können und damit als aufmerksamkeitssteigernder Effekt.
2.5.3.1.1. Normkonflikt: 'alte Welt' vs. 'neue Welt'
Die bereits gegen Ende der vorhergehenden Sequenz einsetzende Musik der Gruppe Laibach ("Die Liebe") dient als transitus zu dieser neuen Sequenz (TC 0:44:37-0:45:46). Die Musik ist aus Sequenz E 107-127 bereits bekannt; wie dort ersetzt sie den O-Ton[104]. Zusammen mit der Kamerahandlung und -perspektive (Fahrt, Weitwinkel, starke Untersicht) schafft sie eine Atmosphäre der Unsicherheit und Irrealität, die die 'Gedankenstimme' Dorothee Müllers in metaphorischer Form aufgreift und dann umdeutet:
"Oben eine Neun bedeutet: steckt mit dem Hals im hölzernen Kragen - Unheil! - Es handelt sich hier um einen Menschen, der unverbesserlich ist. Zur Strafe trägt er einen hölzernen Halskragen. Aber seine Ohren verschwinden darin. Er hört nicht mehr auf Warnungen, sondern ist taub für sie."[105] (E 215)
Der orakelhafte und sehr obskure erste Satz wird im folgenden kommentiert und semantisch präzisiert. Thematisiert wird eine nicht genauer benannte Norm/ ein Gebot, gegen das verstoßen wurde und weiterhin verstoßen wird ("unverbesserlich"). Der Verstoß gegen das Normgebot ist gefährlich ("Unheil!"), denn er wird von den Normmächtigen mit Strafe in Form eines "hölzernen Halskragens" geahndet, der die Bewegungsfreiheit des Kopfes einschränkt und damit auch den Blick auf eine bestimmte Richtung festlegt. Als [von den Bestrafenden unerwünschte] Nebenwirkung ergibt sich gleichzeitig der Effekt der Taubheit gegenüber "Warnungen" der Bestrafenden und Normmächtigen, die das Zuwiderhandeln des oder der Bestraften gegenüber dem Normgebot erleichtern. Es liegt nahe, die Situation des angesprochenen Menschen auf Dorothee Müller zu beziehen, denn Susie Sexpert ist mit dem von ihr vertretenen Norm- und Wertesystem nicht in Konflikt und im Gegensatz zu der passiven Haltung Dorothee Müllers auch nicht 'starr'.
Dorothee Müller formuliert an dieser Stelle ihren Konflikt zwischen dem sie prägenden patriarchal formierten Normsystem der 'alten Welt' und dem von Susie Sexpert vertretenen der 'neuen Welt' - mit der impliziten Hoffnung, den "hölzernen Halskragen" durch die Loslösung von der alten Normvorgabe loszuwerden.
Die folgende Einstellung 216 erweitert den Inhalt des 'Normverstosses' und des Umgangs damit. Die beiden mit sehr 'weiblichen' Attributen ausgestatteten Frauen Dorothee Müller und Susie Sexpert fahren als Soziae von 'Rockerkleidung' aus Leder tragenden, herben, männlich wirkenden Frauen auf schweren Motorrädern einen Highway entlang. Diese Attribute bilden in ihrer 'aggressiven' Konnotation einen Gegensatz zur traditionellen Ikonographie der heterosexuell ausgerichteten Frau; die 'Lederfrauen' sind nicht nur als Frauen, die sich gegen das traditionell aufoktroyierte und sich in der Kleidung manifestierende Rollenverhalten auflehnen, sondern auch als 'Lesben' zu identifizieren[106]. Die Norm, gegen die Dorothee Müller verstößt, indem sie sich in den 'Raum der lesbischen Frauen' begibt, wurde bereits in der Montage der Sequenz E 93-98 zu E 99 ('Dorothee Müller in der Bar mit der Sängerin Mona Mur' zu 'Dorothee Müller tanzt mit Bruno') thematisiert; hier allerdings ist Dorothee Müller nicht mehr bereit, sich der Norm der Heterosexualität zu unterwerfen.
2.5.3.1.2. Probatio: Formen 'weiblicher' Lust
Dem in der letzten Sequenz formulierten Normkonflikt Dorothee Müllers wird mittels weiterer Ausführungen Susie Sexperts entgegengewirkt; die 'neue Norm' wird dadurch verstärkt. Im Hinblick auf die Handlung des Filmes wird Susie Sexpert zur Adjuvantin, denn sie gibt Dorothee Müller die Visitenkarte der Bar (vgl. E 223 f.), in der sie dann Ramona schließlich kennenlernen wird. Dorothee Müller und Susie Sexpert sitzen unter freiem Himmel am Fuß einer Brücke. Wieder ist die Quantität der Aussagen der beiden ungleich verteilt; Susie Sexpert redet, Dorothee Müller fragt. So ergibt sich eine typische 'Schulsituation'; Dorothee Müller erhält eine Lektion, die durch die Situierung im 'Außenraum' zu einer öffentlichen, auch die Zuschauer angehenden wird. Wichtigste Requisiten der Szenerie sind die Dildos, schon allein durch diese Requisiten wird die Aufmerksamkeit (attentum parare) der Zuschauer sichergestellt. Die in der Tat unkoventionelle Auffassung Susie Sexperts wird auch innerhalb des Filmes im 'fiktiven Kommunikationssystem' durch die Montage zu zwei Männern, die das Geschehen ebenfalls verfolgen, thematisiert. Diese Männer sanktionieren das Geschehen jedoch nicht, werden nicht zu Normmächtigen gemacht; sie betrachten es mit amüsiertem Gesichtsausdruck.
Im Hinblick auf die vorhergehende Susie Sexpert-Sequenz bildet diese eine Amplifikation. Der Dildo wird aus seinem traditionellen Konnotationsfeld des 'Phallus- und damit Mannersatzes' herausgenommen. Er trägt den weiblichen Namen seiner Besitzerin ("It's named after me. It's called 'The Susie'", E 217). Implizit wird hier die in der Frauenbewegung bis heute geführten Diskussion über 'Penetration', 'vaginalen und klitorialen Orgasmus' mit der damit einhergehenden Verdammung des Phallus als männliches Unterdrückungsinstrument als überholt geschildert: "most people are accustomed to make love with their hands or the man using his penis in womans vagina and so on and so on. But that's old fashioned. In nowadays there is a million other ways to make love and dildoes are one of the best".
Das 'Superzeichen' wird seines Zeichencharakters beraubt. Der 'Phallus' ist nicht mehr als ein 'Spielzeug', und der erstaunt fragenden Dorothee Müller nach der Funktion dieses Requisits wird folgende profane Antwort zuteil: "You use it for fucking, that's the whole idea. I mean, you could put it on your coffee table, if you want." (E 220). Im Gegensatz zum Penis bietet die künstliche Anfertigung ein Eingehen auf die weibliche Anatomie[107]: die Kopie ist besser als das Original, die 'Maschine' perfekter als der Mensch.
Hier gilt der Ordnungssatz 'Es es ist alles erlaubt, was Frauen Lust bereitet'. So verstößt Susie Sexpert, die diesen Verstoß nicht problematisiert, gegen Tabus der außerfilmischen Realität: Sie verstößt z.B. gegen die Norm der 'Natürlichkeit' (Dildos; Homosexualität; sadomasochistische Spielart[108]), gegen die Norm der Zweierbeziehung[109] und gegen die Norm der Fortpflanzung (Homosexualität; Lustprinzip). Der Begriff 'Liebe' wird hier dem Terminus 'to make love' folgend in einem locus a multiplici appellatione mit 'Lust' gleichgesetzt.
2.5.3.2. Probatio: Dorothee Müller bekommt einen Anruf von Dominique
Der Position der Susie Sexpert, die sich durch positive Zeichnung des von Frauen gestalteten Sexgewerbes und der zwischen ihnen möglichen Sexualität überhaupt charakterisiert, wird als Gegenthese der Anblick eines Straßenstrichs und trostlosen 'Vergnügungsviertels' als 'Raum der heterosexuell ausgestalteten Sexindustrie' aus der annähernd subjektiven Perspektive Dorothee Müllers entgegengesetzt (TC 0:48:01-0:29:29). Die 'Gedankenstimme' Dorothee Müllers kommentiert:
"Die Sexindustrie ist deswegen so trostlos, weil sowenig Frauen darin etwas zu sagen haben. Da hat Susie Sexpert ganz recht. Die Feministinnen sollten da mal 'reingehen, anstatt das ganze Gewerbe als Dreck abzutun. Da könnten sie doch ihre Phantasien ausleben." (E 228 ff.).
Kritisiert wird nicht die 'Sexindustrie' an sich, sondern (1) die dort herrschende Machtverteilung zwischen Mann und Frau, (2) die ablehnende Haltung der 'Feministinnen' dazu.
Die Aussagen setzten die Realität der Sexindustrie mit Öde und Morast gleich, weil dem Mann die Macht, die Lust und das Geld zugeordnet ist, der Frau hingegen keine Macht, keine Lust und kein Geld und schaffen eine Utopie, in der die Sexindustrie als 'Raum der ausgelebten Frauenphantasien' es Frauen ermöglicht, Lust und Macht auszuleben.
Dorothee Müller reflektiert die Ausführungen der Susie Sexpert und stimmt ihnen zu. Sie beginnt zu lernen. Nachdem sie durch das Kennenlernen Susie Sexperts nicht mehr wie in Deutschland einem sexualrepressiven gesellschaftlichen Wertsystem ausgesetzt ist, eröffnet sich nun Amerika für sie als 'Raum neuer Werte und neuer Erfahrungen': "Liebe ist eine Sache und 'fun' eine andere. Fun ... fun ..., vielleicht ist die Liebe hier ganz anders" (E 232 ff.)
Jene ursprünglich als Antwortvariante der 'Frage nach der Liebe' (quaestio infinita) funktionalisierten Aussagen Debi Sundahls im Fernsehen (vgl. E 102 ff.) erweisen sich hier als propositio des Beweiszieles: 'Liebe' soll durch 'Lust' und 'Phantasie' ersetzt werden; "Women's time has come to be sexual" (E 105).
Dorothee Müllers schließt sich aus der Gruppe der "Feministinnen" aus und wählt die Form eines Appells. Dieser Appell ist an die dem äußeren Kommunikationssystem zuzuordnenden 'Feministinnen', etwa die Gruppe um Alice Schwarzer in Deutschland[110], gerichtet; innerhalb des Films kommen keine so definierten 'Feministinnen' vor. Erst der 'fiktiven Autor' bezieht die Aussage Dorothee Müllers auf die quaestio finita und formuliert damit einen auch für sie geltenden Adhortativ.
Die bisherige Strategie der impliziten Argumentation wird hier einmalig und kurz unterbrochen; das Klingeln des Telefons unterbricht die 'Lernfortschritte' Dorothee Müllers.
2.5.3.1.4. Recapitulatio: Dorothee Müller wird sentimental
Dorothee Müller läuft vom 'Außen' des Balkons ins 'Innen' ihres Hotelzimmers und befindet sich in dem von ihr selbst geschaffenen und zunächst durch den im Off laufenden Fernseher bezeichneten 'Raum der althergebrachten Normen'. Sie wird angerufen; der Anschluß kommt nicht zustande. Aus der Ansage des "operator assistant" wird deutlich, daß es sich um einen Anruf aus Übersee gehandelt haben muß. Dorothee Müller vermutet in dem Anrufer Heinz, der ihr geschrieben hat[111]. Zunächst versucht sie zurückzurufen[112], nachdem auch sie keinen Anschluß bekommt, breitet sie auf der Bettdecke zwei Polaroidphotos aus, die Heinz und sie in glücklicher Verbundenheit zeigen. Das darüber gelegte 'Herz-Jesu-Bildchen' symbolisiert die Überhöhung, die Dorothee Müller aus zeitlicher und räumlicher Distanz dieser Beziehung zuteil werden läßt; der 'fiktive Autor' unterstellt ihr Sentimentalität. Diese Sentimentalität wird umso deutlicher herausgestellt, als Einstellung 239, die sowohl als Imagination Dorothee Müllers als auch als Parallelmontage gedeutet werden kann, in Dorothee Müllers Appartement in Deutschland Heinz zeigt, der seine auch auf der durch den Musikeinsatz[113] ausgedrückte Sehnsucht nach ihr mittels eines masturbatorischen Aktes zu kanalisieren versucht. Der Anblick Heinz' ruft seine negativen Eigenschaften ins Gedächtnis und legt ihre einstigen Emotionen und Sehnsüchte endgültig ad acta
Ein Klicken veranlaßt Dorothee Müller, die Türe ihres Hotelzimmers zu öffnen. Auf dem Flur erblickt sie ihre bizarren Zimmernachbarn. Die Frau des Paares grüßt; Dorothee Müller zieht sich ablehnend zurück: Sie distanziert sich von diesen dem 'Raum der Phantasie und der Lust' zuzurechnenden Leuten.
2.5.3.2. Probatio (Gleichnis): Dominique hat sich schröpfen lassen
Erneut klingelt das Telefon; Dorothee Müller bekommt einen Anruf von Dominique.
Zu Beginn des Gesprächs wird deutlich, daß Dorothee Müller immer noch leidet: Entsprechend gilt ihre Aufmerksamkeit ihren Untersuchungen, die sie jetzt auf eine Stripshow "for Ladies only" ausdehnt.
Das Gespräch ist zwischen Dorothee Müllers und Dominiques Aufenthaltsort montiert. Dominique befindet sich an ihrem Arbeitsplatz, in der "Moss-Gallery". Indem ihr "Boss", Mr. Moss, sie rüde an ihren Arbeitsplatz zurückruft: "Are you meschugge? ... Dominique, go back to work, go back to Arbeit" (E 249 ff.) zeigt sich, daß Dominique dem männlichen Herrschaftsdiskurs in der Arbeitswelt nach wie vor untersteht. Dominique ist die Fortsetzung ihrer privaten Entscheidung, den Männern nicht mehr dienstbar zu sein, im 'Raum der Ökonomie' nicht gelungen. Aufgrund dieser Diskrepanz sind all ihre Bemühungen, sich von den aus diesen Widersprüchen ergebenden körperlichen Folgen zu befreien, vergeblich. So wird das durch einen chinesischen Akupunkteur vollzogene "Schröpfen" als Homonymie in einem locus a comparatione (vgl. HB § 395) zum Gleichnis für ihr 'Geschröpftsein', die Ausnutzung, die ihr durch die Männer im Berufsleben widerfährt. Entsprechend hat Dominique keine Kraft mehr, um mit Dorothee Müller in den 'Raum der Frauen' überzuwechseln: "Hm, das hört sich zwar sehr interessant an, aber das werd' ich nicht mehr packen. Ich hab nämlich sehr viel Arbeit und außerdem bin ich vollkommen erschöpft" (E 244 f.) Deshalb sind ihre therapeutischen Bemühungen nicht nur vergeblich, sondern setzen ihr Ausgenutztsein noch fort: "Ich hab' mich schröpfen lassen! (...) Es tat verflixt weh" (E 246 ff.). Im Gegensatz zu Dominique ist Dorothee Müller auf dem Weg, Arbeit und persönlich motivierte Fragestellung in eine Übereinstimmung zu bringen. Dorothees abschließende Bestätigung: "Dominique, ich hol' mir dann das Fahrrad" (E 253) läßt sich jetzt so deuten: Dorothee mußte Dominique erst auf der privaten Ebene einholen. Dafür mußte sie Heinz als Statthalter männlicher Diskurspraktiken erst hinter sich lassen, um dann aber die von Dominique noch nicht gelöste Dichotomie von privatem Anspruch und Arbeitswelt ('innen' vs. 'außen') voranzutreiben, um sie schließlich in eine Auflösung zu überführen. Insofern bildet diese Sequenz eine divisio als "vom status zu den loci argumentorum führende Bearbeitungsphase der materia" (vgl. HB § 1244; divisio III A).
2.5.3.3. Probatio: Dorothee Müller lernt im 'Raum der Lust' ihre vermeintliche 'Partnerin für die romantische Liebe' kennen
Auf dem Weg zur Stripshow, der auch durch das bereits hier (E 256) unterlegte Musikmotiv bezeichnet wird, wirft Dorothee Müller einen Blick durch die gegenüberliegende Tür, die erneut offensteht. Das Paar ist wiederum mit einer bizarren Sexualpraktik beschäftigt (vgl. E 255); diese Episode bildet eine weitere Variante der Liebeskonzeptionen (quaestio infinita).
E 257 zeigt die Stripbar. Inmitten des 'Raumes der Frauen' befindet sich auf der Bühne eine als Mann verkleidete tanzende Frau. Einen implizit formulierten Ordnungssatz dieser Episode bildet der Refrain des dem Geschehen unterlegten Musikmixes, der lautet "When boys talk, they don't talk politics. When boys talk, they talk about their dicks. (etc.)". Die Herrenimitatorin imitiert einen Macho: Hier geht es um die Kritik an männlichem Verhalten mittels ridiculum. Die 'Frage nach der Liebe (quaestio infinita) wird hier unter dem Aspekt '(sexuelles) Verhalten von Männern gegenüber Frauen' behandelt. Die sich aus der Darstellung negativer Verhaltensweisen von Männern innerhalb der heterosexuellen Beziehung ergebende Proposition lautet: 'Frauen machen Frauen nicht zum bloßen Lustobjekt'.
Die Frauen im Zuschauerraum sind in die Darbietung mit einbezogen. Imitiert werden zunächst ein Analverkehr (E 263) und eine Fellatio (E 270). Die Frau nimmt in dieser Vorführung die Position des bloßen Lustobjekts des Subjekts Mann ein. In der die Vorführung beschließenden Darstellung einer männlichen Masturbation ist die Frau als Lustobjekt auf der Bühne gar nicht mehr anwesend, der Mann genügt sich selbst; innerhalb der Interaktion zwischen Bühnenraum und Zuschauerraum findet sich ihre Objektrolle neuerlich gesetzt: Sie nimmt die Rolle der einen Exhibitionisten Betrachtenden ein. Dildo und Bierflasche werden hier im Gegensatz zu den Susie-Sexpert-Sequenzen als Phallussymbole gesetzt (vgl. z.B. E 265). Die spielerische Wiederholung negativer männlicher Verhaltensweisen durch eine Frau hat auf die zuschauenden Frauen nicht nur eine belustigende, sondern auch eine erotische Wirkung. Sie suchen den Körperkontakt zu der Imitatorin, indem sie ihr Geldscheine in die Kleidung schieben. Die Geschlechterimitation auf und vor der Bühne ergibt ein Vexierbild mit verschiedenen Deutungsmöglichkeiten: Das heterosexuelle Bild ergibt sich durch die Interaktion des 'Mannes' auf der Bühne mit den Frauen im Zuschauerraum (vgl. besonders E 257 f.), das lesbische Bild ergibt sich durch die Interaktion der Herrenimitatorin mit den Frauen im Zuschauerraum, das 'schwule' Bild ergibt sich durch die Interaktion des 'Mannes' auf der Bühne mit sehr männlich gekleideten und agierenden Frauen im Zuschauerraum (vgl. besonders E 265 f.). Die Wirkung des delectare kann nicht wie beim bekannten Topos der 'Hosenrollen'[114] als gesichert gelten; diese Episode hat zu sehr kontroversen Reaktionen der 'empirischen Rezipienten' geführt[115].
Die Imitatorin wird über eine Lautsprecheransage vorgestellt: "the beautiful Ramona!". Sie ist jene Ramona, die aus dem Fernsehspot (E 175 ff.) bereits bekannt ist. Ramona läßt sich für ihre Darbietungen bezahlen, ihr wird außer 'Sexualität' auch 'Geld' zugeordnet. Im Gegensatz zu Dominique verkörpert sie hier eine Frau, die augenscheinlich die Diskrepanz zwischen Privat- und Arbeitsleben überwunden hat und nicht mehr dem patriarchalischen Machtdiskurs untersteht - wenn sie sich auch paradoxerweise dessen Mittel bedient.
Nach der Vorführung spricht Dorothee Müller Ramona an und verabredet sich mit ihr für den folgenden Tag: Die quaestio infinita wird durch dadurch mit der quaestio finita verbunden; aus Ramonas Darstellung und Kritik negativer männlicher Verhaltensweisen ergibt sich die Hoffnung auf eine positive Entwicklung der Beziehung zwischen Ramona und Dorothee Müller.
2.5.3.4. Probatio mit recapitulatio: Dorothee Müller besucht Dominique in der Moss-Gallery
In dieser neuen Sequenz (TC 0:59:16-1:01:08) fährt Dominique mit einem Fahrrad in einem großen Ausstellungsraum herum und Moss ist in einem anderen Raum der Galerie mit einem Computerspiel beschäftigt. Ein Ziel dieses Computerspieles ist das Entkleiden einer abgebildeten Frau (vgl. E 275 f u. E 278): Hier wird ein komplementäres Äquivalent zur 'Women's Stripshow' gesetzt. Moss begrüßt die eintreffende Dorothee Müller, indem er ihr einen als Verlängerung seines Armes in ein Händchen auslaufenden Stock auf die Brust legt. Der 'fiktive Autor' bestätigt mit Moss' ungewöhnlicher Geste implizit die in der vorhergehenden Sequenz im 'Spiel im Spiel' gesetzte These 'Männer degradieren Frauen zu Lustobjekten'. Erneut wird der Typ des 'chauvinistischen Machos' vorgeführt.
Dorothee Müller leiht sich von Ramona ein Fahrrad und teilt ihr mit: "Weißt du, ich bin sehr aufgeregt, ich habe nämlich heute diese Verabredung mit dieser Frau, Ramona" (E 279). Dies erweckt Spannung auf den Fortgang der Handlung. Dominiques Kommentar "Ramona! Das hört sich ja sehr gefährlich an!" unterstützt diese 'Spannung' noch. Dominique schließt ihrer Aussage zwei Warnungen an: "Paß' bloß auf, daß du dich nicht verliebst! (E 279) und "Und Dorothee, mach mir keine Panne! Weder mit dem Fahrrad, noch mit Ramona!" (E 280 f.), doch aus E 215 ist bekannt, daß Dorothee Müller inzwischen "taub für Warnungen" ist. Dennoch nimmt Dominique mit diesen Warnungen die Position der Normmächtigen der Figurenebene ein, wie der Fortgang der Handlung beweisen wird.
2.5.3.5. Refutatio (Breitenamplifikation): Dorothee Müller scheint in Ramona die Partnerin für die 'romantische Liebe' zu finden
2.5.3.5.1. Dorothee Müller fährt zum Treffen mit Ramona
Diese Binnenerzählung um das vermeintliche Liebesglück Dorothee Müllers und Ramonas (TC 1:01:08-1:03:24) wird eingeleitet durch die Fahrt Dorothee Müllers im Taxi. Dorothee Müller hat sich 'chic' gemacht, sie trägt ein schwarzes Kleid mit Rückenausschnitt und eine Baskenmütze. Sie möchte Ramona als begehrenswerte Frau gefallen und zwar auf der Ebene des Mann-Frau-Spiels, wobei Ramona die Rolle des Mannes zugewiesen bekommt. Aus Dorothee Müllers 'Gedankenstimme' (E 287) ergibt sich die Propositionen: (1) 'Die Gegenliebe von Ramona ist noch nicht gesichert'; (2) Das 'Ritual der idealen Liebe' beinhaltet die Forderung nach dem Zurückhalten der Gefühle, Selbstbeherrschung und 'Perfektion'. Verhandelt wird also im status coniecturae (HB § 150 ff.) als animi coniectura[116].
Zu diesem erotischen Diskurs wird durch den Taxifahrer der Diskurs um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Amerika wieder aufgenommen. Der Taxifahrer kritisiert die 'Überfremdung' Amerikas[117] ("[...] Some kind of foreign [...] Ah, I hate driving through this area! [...] I tell you, San Francisco is gonna be the next Hongkong!"); diese Kritik wird vom 'fiktiven Autor' ironisch aufgegriffen durch einen sich gegenläufig zum Taxi bewegenden Leichenzug ('Der Untergang Amerikas') und gebrochen durch das Wissen, daß Dorothee Müller als Deutsche auch eine Ausländerin ist sowie durch die Überlagerung der Aussagen des Taxifahrers mit Dorothee Müllers 'Gedankenstimme'.
Das Taxi hält und Dorothee Müller steigt aus. Die sich auf dem Taxi spiegelnde Neonreklame "Billboard Cafe" zeigt an, daß Dorothee an ihrem Bestimmungsort angelangt ist. Sie betritt das Café und trifft dort auf Ramona. Auch Ramona hat sich 'chic' gemacht; ihr Aktenkoffer (vs. Dorothee Müllers Handtäschchen) allerdings verweist auf den Business-Charakter ihres Unternehmens. Die Begrüßung der beiden Frauen wird wiederum überlagert durch Dorothee Müllers 'Gedankenstimme': "Sie ist ja voller Sommersprossen. Und ein bißchen nervös ist sie auch" (E 292). Dorothee Müller spitzt die erhoffte Übereinstimmung und gemeinsame Erwartungshaltung zu. Die beiden - so wünscht zumindest Dorothee - sind sich durch ihr 'Outfit' und eine von Dorothee Müller vermutete gemeinsame Erregung wohl ähnlich: Eine Täuschung Dorothees, die sich im folgenden als inszenierter Selbstbetrug herausstellt.
2.5.3.5.2. Dorothee Müller und Ramona fahren in ein Vergnügungsviertel und lassen sich ein Andenken anfertigen
Der Eingang dieser Sequenz (TC 1:03:24-1:06:16) beinhaltet eine Überraschung: Aus einer Luxuslimousine entsteigen nicht nur eine Chauffeuse, sondern auch Ramona und Dorothee Müller, die sehr vergnügt wirken und sich umarmen. Auf der 'fiktiven Kommunikationsebene' wird mit dem paradoxen Argument 'Ramona ist reich' dafür plädiert, daß Dorothee Müller in Ramona die adäquate Partnerin für die 'ideale Liebe' gefunden hat. Auch der Hinderungsfaktor 'Arbeit' wird im 'Raum des Vergnügungsviertels' implizit ausgeschlossen. Gleichzeitig ironisiert der 'fiktive Autor' diese Aussage durch die Setzung eines dem 'Raum der Materialität' zuzurechnenden Zeichens, das zudem mittels Verwendung eines Weitwinkelobjektivs in gigantischem, also unrealem Ausmaß ins Bild gerückt wird (amplificatio). Die Parallelschaltung von Argumenten für die 'ideale Liebe' und deren gleichzeitige Ironisierung findet sich im weiteren durch die Lokalisierung der beiden Frauen in Räumen, die als 'kitschige Klischees' zu bezeichnen sind, sowie durch die Inkongruenz und Ambivalenz der Zeichen. In einem Video-Printer-Shop lassen Dorothee Müller und Ramona ihre in ein Herz gefaßten Porträts auf ein Handtuch oder T-Shirt drucken. Wie in einer der ersten Sequenzen des Films (E 27) wird in einem paradoxon die Momenthaftigkeit der Photographie als Zeichen für die 'ideale Liebe' gesetzt. Gleichzeitig weist ein Schild[118] auf mögliche hygienische Gefahren einer Beziehung hin.
Dorothee Müllers 'Gedankenstimme' kommentiert das Geschehen: "Sie gefällt mir. Und ich gefalle ihr." (E 297) "Ich glaube, sie braucht meine Liebe!" (E 298). Dorothee Müller erklärt den 'Beweis' für die Gegenliebe Ramonas für erbracht und kommt dadurch zu einer Schlußfolgerung, die bei einer psychologischen Deutung des Filmgeschehens als 'Projektion' bezeichnet werden müßte: Dorothee Müller projiziert ihr Bedürfnis nach einer Partnerin für die ideale Liebe als ein auf sie gerichtets Bedürfnis Ramonas. Die propositionalen Folgerungen lauten:
Figurenebene: vs. 'fiktiver Autor':
'Liebe' ist ein Bedürfnis 'Liebe' entsteht durch Projektion
[Schema 11]
Wieder wird der Aspekt 'Geld' in den Blickwinkel gerückt; die Passage, in der Ramona die Rechnung bezahlt, wird in voller Länge gezeigt. Das Zeichen 'Geld' ist hier ambivalent gesetzt: Einerseits ist es auf Figurenebene Ausdruck der dem semantischen Feld der 'idealen Liebe' zugehörigen 'Fürsorge um die andere oder den anderen', andererseits weist der 'fiktive Autor' mit diesem dem 'Raum der Materialität' zuzurechnenden und so zur 'idealen Liebe' in einem paradoxen Verhältnis stehenden Zeichen indirekt auf die Unhaltbarkeit der Argumentation hin. Eine weitere ironische Brechung entsteht durch die Proposition 'der Inhaber des Shops macht indirekt sein Geschäft mit der Liebe'.
Diese Teilsequenz hat ihren Kulminationspunkt in der Wahl der Aufschrift "I love you" (vgl. E 301) für das das gemeinsame Porträt tragende Tuch durch Ramona. Der 'Beweis' ihrer Gegenliebe ist hiermit erbracht; seine 'Glaubwürdigkeit' allerdings erneut infragegestellt durch den Flirt Ramonas mit dem Verkäufer und die Wahl des gleichen "I love" in Bezug auf eine der Abbildungen im Monitor (E 300).
2.5.3.5.3. Dorothee Müller legt ihre Hand auf Ramonas Knie
'Harmonie' und 'Glück' der beiden 'Liebenden' finden ihren amplifikatorischen Ausdruck im 'dolce-vita' in der Luxuslimousine (TC 1:06:16-1:06:36). Als Zeichen des 'süßen Nichtstuns' fungieren außer der Luxuslimousine mit Chauffeuse der obligatorische Fernseher sowie die unvermeidlich alkoholischen Getränke und die Aufforderung, in eine Bar zu gehen. Den 'Raum der idealen Liebe' bildet wieder ein 'Raum der Nicht-Arbeit'.
Als weitere amplificatio der zunehmenden Intimität[119] zwischen den beiden Frauen zeigt der 'fiktive Autor', daß Dorothee Müller ihre Hand auf Ramonas Knie legt. Diese Handlung ist dem Repertoire des Mann-Frau-Spiels entnommen und hat eine eindeutig erotische Konnotation; der Diskurs um die 'ideale Liebe' erweist sich hier erneut auch als 'patriarchalischer'.
2.5.3.5.4. Dorothee Müller und Ramona gehen tanzen und küssen sich
Wie in der vorhergehenden Sequenz angekündigt, befinden Ramona und Dorothee Müller sich nun (TC 1:06:16-1:08:08) in einer Musikbar, die von Männern und Frauen gut besucht ist; es handelt sich hier ebensowenig wie in der vorletzten Sequenz um einen reinen 'Raum der Frauen'. Hier spielt eine Frauenband, die gleichzeitig einen Hinweis auf mögliche andere rein weibliche Lebensformen bildet.
Die amplifikatorisch aufgebaute demonstratio ad oculos der sich entwickelnden körperlichen Beziehung der beiden Frauen findet ihren vorläufigen Höhepunkt im Kuß. Die erhöhte Position, die sie auf einem Podest einnehmen, ermöglicht zum einen einen als 'subjektiv' dargestellten Kamerablick auf das Geschehen, beinhaltet zum anderen erneut die Proposition, daß beide sich hier in einem 'öffentlichen' Raum zeigen; der 'fiktive Autor' setzt die Homosexualität nicht als gesellschaftliches Tabu oder Normbruch.
2.5.3.5.5. Dorothee Müller und Ramona gehen zusammen ins Bett
Der 'fiktive Autor' führt das Argument 'Dorothee Müller und Ramona gehen zusammen ins Bett' nicht durch sprachliche Paraphrase, sondern in vier Einstellungen von insgesamt fast zwei Minuten Dauer explizit bildlich aus (delectare). Der Beweis 'Dorothee Müller findet in Ramona die Partnerin für die ideale Liebe' ist damit erreicht: Dorothee Müller hat in Ramona eine in Denken und Fühlen ähnliche Partnerin gefunden; ihr Zustand ist einer der Harmonie. Die Abbildung der sexuellen Aktivitäten der beiden Frauen greift den Aspekt 'Harmonie' durch die Betonung der gemeinsamen körperlichen Attribute und dem paritätischen Wechsel zwischen den 'Oben-Unten'-Positionen auf. Auch Stellungen, die als solche eines heterosexuellen Paares als 'Geschlechts-'oder 'Analverkehr' (vgl. E 314 u. E 317) zu interpretieren wären, werden abgebildet; die 'Abwesenheit des Phallus' allerdings beraubt sie ihrer Signifikanz. Besondere Aufmerksamkeit wird nun den Brüsten beigemessen. Unter Rekurs auf die Argumentation der ersten Susie-Sexpert-Sequenz (vgl. E 205 ff.) lassen sie sich nicht nur als erotisches Zeichen, sondern auch als Zeichen der Mutter interpretieren: Dorothee Müller hätte in Ramona also nicht nur die 'Partnerin für die ideale Liebe', sondern auch die Mutter gefunden; die Beziehung zu dieser Frau hätte also allen ihren formulierten Defiziten ein Ende gesetzt.
E 308 formuliert die 'Romantik' der Situation redundant als Naturmetapher; das Haus, in dem sich Ramona und Dorothee Müller befinden, ist mondbeschienen; die Grillen zirpen.
2.6. Dritte Argumentatio
2.6.1. Conclusio: 'Die romantische Liebe' wird endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben
Einen Kontrast zu der vorhergehenden 'romantischen' Kulisse bildet diese Sequenz (TC 1:10:01-1:11:44), die auf der akustischen Ebene den beruhigenden Naturgeräuschen das 'Warngeräusch' einer Sirene entgegenstellt: Ramona steht vor dem Spiegel und ordnet ihr Äußeres; ihr Blick ist nicht mehr auf Dorothee Müller, sondern auf sie selbst gerichtet. 'Rücksichtslos' wirkt auch ihre rüde Art, mit der sie dann der schlafenden Dorothee Müller das Diktiergerät unter ihr Kopfkissen schiebt. Das Diktiergerät bildet ein Zeichen, mit dem nachträglich Dorothee Müllers Erlebnisse mit Ramona als Bestandteil der 'Recherche' und damit der quaestio infinita gesetzt werden. Die 'Frage nach der Liebe', die durch das Erlebnis Dorothee Müllers mit Ramona bereits zu einer positiven Beantwortung gelangt schien, wird wieder aufgegriffen und nun auf eine Art beantwortet, die die gesamte vorhergehende Argumentation entwertet: Ramona zieht aus ihrem Aktenkoffer einen Taschenrechner und präsentiert Dorothee Müller die Rechnung.
Auch wenn Dorothee Müller noch einmal zu intervenieren versucht, auch wenn sie das sich nun endgültig als unhaltbar herausstellende Beweisziel von der 'romantischen Liebe' zu retten hofft, so wird dieses Bemühen von Ramona mit den Abschiedsworten quittiert: "Whenever you like, angel, give me a call" (E 322).
Der Warencharakter, die Käuflichkeit von Gefühlen tritt seinen Siegeszug über die sogenannte 'ideale Liebe' an und entlarvt diese endgültig als obsolet.
Oh, baby, my little dove, I'm sorry to wake you up, honey, but I have an appointment now, and we really haven't talked about money yet. So, my expenses were - I show you, honey - see: fifty dollars an hour for the limousine, plus the tip, the dinner, the T-shirt at the Wharf, and my time. For you, my sweet, I make a deal: fivehundred dollars! (E 320 f.)
Der Warencharakter der Liebe ist hier längst kein Skandalon mehr, sondern 'just the way', wie Liebe funktioniert: nämlich als Preisgabe ihrer selbst an die Lächerlichkeit. Doch nicht auf der Ebene einer Theorie der Entfremdung wird hier Radikalkritik an der Liebe als romantische geübt. Das Konzept der 'wahren' Liebe wird der Vergangenheit übergeben. So wird ihr - wie der Speicherstadt (vgl. E 40) in Hamburg - bestenfalls Denkmalcharakter zuteil (vgl. dazu E 7 ff.; bes. E 13.a.).
Sexualität im 'romantischen' Diskurs wird noch verbrämt in allen möglichen Diskursen: Biologie, Theologie, Essen, Wissenschaft, Familie, Theater, Macht. Das Grundmodell dieser allpräsenten Manifestation von Sexualität ist die Dichotomie von Mann und Frau: Dem Mann kommt dabei die Herrscherrolle zu, nicht nur über die Frau, die als lammfrommes Opfer immer schon um ihren Lohn (vgl. E 60 ff.) gebracht wurde: "Liebe ist für viele Schafe schwerer als die schwerste Strafe". Vielmehr ist der Mann, weil nur er frei über seine Sexualität verfügen kann (vgl. E 45 ff.) die entscheidende Instanz in allen Diskursen.
Die 'Ware' Liebe hingegen füllt die Leerstelle der totgesagten 'romantischen' Liebe neu aus. Sie ist käuflich, reproduzierbar und nicht auf einen 'idealen' Partner fixiert. Das die 'romantischen' Liebe kennzeichnende bürgerliche Treue-Gebot (vgl. E 40) berührt sie nicht mehr. So schafft sie auch keine Opfer. Diese bedürfen nämlich einer festen Hierarchie von Macht, von oben und unten, von Mann und Frau.
Indem der Film von Anfang an darauf hin arbeitet, eine rationale, wissenschaftliche oder wie immer geartete abstrakte Auseinandersetzung als 'unfruchtbar', da von Männern besetzt herauszuarbeiten, schlägt in letzter Konsequenz die romantische Liebe in eine Parodie um. Die 'ideale Liebe' zwischen Frauen täuscht auch nicht darüber hinweg, sondern treibt die Parodie auf die Spitze.
Es ist keine überraschende Wende mehr, wenn Dorothee Müller anstatt in Weinen und Lamentieren zu verfallen, aus voller Kehle heraus zu lachen beginnt, nachdem sie feststellt, daß die einzige Hinterlassenschaft Ramonas eine dicke Rechnung ist. Ramonas Therapie hat gewirkt. Dorothee Müller empfindet das 'Scheitern' der 'romantischen' Liebe als große Befreiung, als einen "way out" (E 178).
Hatten ihr die Gespräche mit Susie Sexpert zu denken gegeben und ihr die Vermutung nahegelegt: "Vielleicht ist die Liebe hier ganz anders" (E 234), so wird jetzt aus der Vermutung eine stichhaltige Einsicht.
Die neue Strategie zielt nun darauf ab, die Argumentation des 'fiktiven Autors' - wie bereits in der insinuatio vorgezeichnet - endgültig in Kongruenz mit der Figur Dorothee Müller zu bringen. Bewiesen ist hier: Die 'ideale Liebe' ist eine Illusion.
2.6.2. Probatio: Dorothee Müller ist bei Dominique zum Essen eingeladen
Dorothee Müller zieht sich nach diesen Erlebnissen in den 'Raum der Freundschaft'[120] in Dominiques Wohnung (TC 1:11:44-13:35) zurück. Während Dominique und ihre Schwester kochen, sitzt Dorothee Müller an ihrer Schreibmaschine. An dieser Stelle wird die Episode um den chinesischen Akupunkteur neuerlich umfunktionalisiert: Dorothee Müller wurde von Ramona "geschröpft", durchschaute dadurch den Mechanismus der 'romantischen Liebe' und weiß jetzt, "Was das ist - Liebe" (vgl. E 16), nämlich ein vom patriarchalischen Herrschaftsdiskurs bestimmtes Sedativ. Dieses Ergebnis kann sie jetzt schriftlich fixieren. Sie ist nun dem 'Raum der Frauen' zuzurechnen, ihre persönliche Geschichte ist Bestandteil ihrer Arbeit. Dominique hingegen hat sie vom Schröpfen blutunterlaufende Male zurückbehalten (E 326). Sie vermag der Dichotomie von privatem Raum und öffentlichem Raum zunächst nur in der Illusion eines Traumes zu entkommen:
Du weißt ja, ich träume immer davon, ewige Rentnerin zu sein. [...] Und derweil lese ich, daß Rambo-Man prozessiert gegen seine Ehefrau Gitte, und weißt du, warum? Weil Ehefrau Gitte mit ihrer Sekretärin im Bett gefunden wurde. Was kriegt sie dafür? Sechs Millionen Dollar! (E 324 ff.)
In dieser humoristischen Erzählung wird im Sinne der probatio der materialistische Aspekt aufgewertet, der nun in die Lady's Bar führt.
2.6.3. Conclusio: Die starken Frauen: Marvin Moss bekommt keinen Zutritt zur Lady's Bar
Marvin Moss begehrt Einlaß. Da er ein Mann ist, ist es nun mehr als konsequent, daß er nun von den Türsteherinnen abgewiesen wird. Die 'Lady's Bar' wird als 'Raum der Frauen' ausgewiesen; die Türsteherinnen verkörpern 'starke, amazonenhafte' Frauen. Weiterhin hat sich die Konstellation des prooemium umgekehrt: Die Frau ist nicht mehr passiv; 'in die Flucht geschlagen' wird der Mann (vgl. Schema 2).
2.6.4. conclusio: Lust statt Liebe: Dorothee Müller tritt selbst in der Stripshow auf
In der 'Lady's Bar' tritt Dorothee Müller auf und präsentiert einen Striptease (TC 1:15:11-1:16:57), für den sie sich von den begeisterten Zuschauerinnen Geld in die dürftige Bekleidung stecken läßt (vgl. E 333 ff.). Sie befindet sich nicht mehr 'passiv' im Zuschauerraum, sondern agiert auf der Bühne, gehört also zu den 'neuen' Frauen um Susie Sexpert und Ramona. 'Lust', 'Phantasie' und 'Materialität' haben die Idee von der 'idealen Liebe' abgelöst. Dorothee Müller hat an dieser Stelle das erreicht, was sie in der 'Puppenspielsequenz' allegorisch von 'Frau Minne' einforderte: 'die Welt', Freunde, 'Reichtum', Bezahlung im Diesseits, Anerkennung und 'Gesundheit' (vgl. E 60 ff.)
2.6.5. Conclusio: Dorothee Müller hat sich vom 'Traum von der romantischen Liebe' verabschiedet
Nach ihrer 'Performance' entspannt sich Dorothee Müller bei einer Zigarette[121] und wird von der aus E 257 ff. bekannten 'Blondine' angesprochen: "What's about your dream?" Dorothee Müller antwortet: "My dream has gone!" Vorausgesetzt wird, die Metapher "dream" auf die 'ideale Liebe' zu beziehen. An dieser Stelle wird die mit Dorothee Müllers Lachen in E 323 nicht-sprachlich ausgedrückte, also implizit vermittelte Proposition explizit verbalisiert.
Die Strip-Performance Dorothee Müllers ist ein Initiationsritus. Diese Deutung legt der Ausspruch Dominiques: "Das hast du gut überlebt!" (vgl. E 343) nahe.
2.7. Peroratio mit recapitulatio: Dorothee Müller entledigt sich ihrer Vergangenheit
Dorothee Müller ist wieder in ihrem Hotelzimmer. Sie verwandelt ihr Äußeres ein weiteres Mal. Jetzt trägt sie eine Lederkappe, die sie mit den 'starken' Motorradfrauen aus E 216 gleichsetzt und durch die androgyne Wirkung ein spezifisches erotisches Signal setzt; außerdem betont sie ihren Körper, indem sie sich schminkt. Die Musik im Off greift die 'fröhliche' Stimmung aus E 327 auf, die sich als Affekt den Rezipienten mitteilt. Als recapitulatio wirken die Photos, die Dorothee Müller durchblättert. Sie zeigen Heinz und Dorothee, Kinder und eine Frau; das Photo dieser Frau kann seiner Qualität nach als Bild der Mutter interpretiert werden. Rekapituliert werden also Aspekte des Lebens der Dorothee Müller, die als Hinweis auf ihre zu der Idee von der 'idealen Liebe' beitragenden Sozialisation gelesen werden können.
Dorothee Müller fährt in rasantem Tempo auf Dominiques Fahrrad einen Highway entlang; die beibehaltene Musik im Off bewertet dieses Tun als positives. (E 350). Sie trägt zusätzlich zu der Lederkappe, unter der ihre Haare verschwinden, im Gegensatz zu den bisherigen Kleidern zum ersten Mal eine (Leder-)Hose. In dieser Ikonographie manifestiert sich nochmals ihre Wandlung: Sie hat sich von dem als überholt geschilderten Frauenbild zu einer starken Frau entwickelt. Dorothee Müller ist 'autonom' geworden. Diese Autonomie feiert sie unter der Golden-Gate-Bridge, indem sie mit den Fotos auch die Prägungen der Vergangenheit als 'Ballast' ins Wasser wirft. Im Gegensatz zu damals hat Dorothee Müller nun 'festen Boden unter den Füßen'.
Die androgyn gekleidete Radfahrerin unter der Golden-Gate-Bridge bildet so eine Opposition zu der Ruderboot-Sequenz (insinuatio). Der 'bürgerlichen' Idylle wird mittels der Maschinen-Metapher versucht, eine anti-bürgerliche Ikonographie entgegenzusetzen:
Der Sexualsymbolismus der Maschine bezieht sich freilich nicht ausschließlich auf den Begattungsakt. Er war nicht besonders symbolbedürftig in der Literatur und Kunst des fin de siècle, das den reinen Lustgewinn über den schöpferischen Zeugungsakt stellte und die ambivalenten Potenzsymbole des Begattungsaktes nicht brauchen konnte. Die Maschine setzte sich daher vor allem als autoerotisches Symbol durch- als lustbesetzte Selbstbefriedigungsmaschine[122]. Sie gibt dergestalt das gesamte erotische Phantasiepotential frei, ohne es zugleich in den Dienst der Menschheit zu stellen. Dieses symbiotische Sinnbild von sexueller Potenz und narzistischem Zeremoniell war gleichermaßen gegen Keuschheit und Fruchtbarkeit, die Normen einer verlogenen bürgerlichen Doppelmoral aufgepflanzt worden. Das sterile Schöpfertum hatte neben seinem Dingaspekt als Lustmaschine eine Reihe weiterer Verkörperungen erfahren, nämlich Personifizierungen wie den Junggesellen, den Eintänzer, den femininen Schwulen - die femme fatale, die Prostituierte, die zeitgemäße Hexe, die (lesbische) Emanzipierte der Frauenbewegung, die Radfahrerin[123], die in der zeitgenössischen Karikatur schließlich zum negativen Emanzipationssymbol der alleinstehenden, berufstätigen Frau avancierte, aber auch Priester und Nonne oder sogar der Papst (z.B. Panizza Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.), deren Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. autistische Sexualität meist als pornographische, obszöne Kehrseite der bürgerlichen Sexualunterdrückung ausgelegt wird, waren sinnbildlich im Gebrauch."[124]
Die Proposition, Dorothee Müller habe sich jetzt endgültig zu einem Ausleben der 'Lust' entschieden, wird durch eine durch Parallelbau auf die insinuatio rekurrierende Aussage Dorothee Müllers mittels 'Gedankenstimme' infrage gestellt:
Dorothee Müller, das bin ich: ein deutsches Mädchen in Amerika. Wenn ich mich das nächste Mal verliebe, was wird dann wohl passieren? (E 351)
Das erneute Aufgreifen des gerade totgesagten Begriffes 'Liebe' suggeriert eine Versöhnung mit innerhalb des Filmes permanent angegriffenen und infrage gestellten extratextuellen Normen. Dennoch kann diese Liebe nicht mehr die 'romantische Liebe' sein. Sie muß sich aus dem in der Erzählung als nichtig Herausgestellten ex negativo definieren. Die Aussage der 'fiktiven Autorin' Dorothee Müller fordert die Normmächtigen des äußeren Kommunikationssystems auf, eine eigene Definition von 'Liebe' zu finden, das im Film Gesagte zu rekapitulieren und weiterzudenken; so konstituiert sich ein offener Schluß.
3. Zusammenfassung: Die Beweis- und Redeziele des erotischen Diskurses. Die Strategie des Films
Der Vertretbarkeitsgrad eines Partei-Gegenstandes, der das Rechtsempfinden (oder über den juristischen Bereich hinaus verallgemeinert: das Wert- und Wahrheitsempfinden) des Publikums schockiert, heißt (...) admirabile genus (...), turpe genus (...). Die Vertretung einer causa admirabilis (turpis) stellt hohe Anforderungen an den Redner, da seine causa der des Redners (der eine causa honesta vertritt) von vornherein unterlegen ist. (HB § 64.3)
Dieser Unterlegenheit begegnet der Film zunächst mit drei verschiedenen textinternen Reden:
1. Der Rede der Figurenebene (u.a. Dorothee Müller);
2. der Rede der 'fiktiven Autorin' Dorothee Müller (Off-Stimme);
3. der Rede eines weiteren 'fiktiven Autors' (filmische Mittel wie Kameraführung, Ton, Musik, Montage etc.).
In den theoretischen Vorüberlegungen wurde zwischen einer textexternen Kommunikationsebene und einer textinternen Kommunikationsebene unterschieden.
Auf der textexternen Kommunikationsebene ist der Film eine 'Beispielerzählung' und die Rede des 'empirischen' oder 'idealen' Autors[125]; die drei oben dargestellten textinternen Reden bilden in diesem Zusammenhang eine sermocinatio[126], die sowohl für die probatio als auch für die refutatio funktionalisiert werden kann.
"Die Jungfrauenmaschine" täuscht zunächst einen heterosexuellen Liebeskonflikt vor: Die Protagonistin Dorothee habe sich einen falschen Partner gewählt, den sie verlasse, doch der jetzt gewählte Partner Bruno erwidere ihre Liebe nicht.
Die vorgetäuschte quaestio: 'Mit welchem der beiden Männern kann Dorothee Müller ihr Ideal der 'romantischen Liebe' leben?' bedient sich epideiktischer Mittel: der des Lobes (Bruno) und der des Tadels (Heinz) und wird ebenfalls im genus turpe verhandelt. Das 'Schockierende' liegt in der inzestuösen Komponente von Dorothee Müllers Begehren. Dies wird im Film nicht problematisiert. Es ist auch letztlich marginal, denn die Protagonistin muß erkennen, daß Bruno homosexuell ist. Mit der Erkenntnis der Homosexualität Brunos ist das übergeordnete Beweisziel erreicht: 'Dorothee Müller findet keine 'ideale Liebe' in der Beziehung mit einem Mann.
Die quaestio finita (Warum hat Dorothee Müller kein Glück in der Liebe?) wird in einem locus a multiplici appellatione um eine quaestio infinita (Was ist Liebe?) erweitert. Die Darlegung der quaestio infinita wird auf der Handlungsebene durch Dorothee Müllers Vorhaben, eine Untersuchung über die 'romantische Liebe' zu verfassen, motiviert. Die Darstellung wird durch die Rückblende der insinuatio als subjektive Erinnerung der Dorothee Müller geschildert. Dies legitimiert die Strategie, Überleitungen von Sequenz zu Sequenz weniger aus einer Handlung heraus zu motivieren, als Zusammenhänge über 'unbewußt' wirkende, Assoziationen nachzeichnende und bewirkende Mittel besonders der Ton- und Musikebene zu schaffen. Unter rhetorischen Gesichtspunkten entspricht der Film also weniger der fertigen Rede, sondern präsentiert sich im Status der inventio:
Die inventio wird nicht als ein Schöpfungsvorgang (...), sondern als Finden durch Erinnerung (analog der platonischen Auffassung vom Wissen) vorgestellt: die für die Rede geeigneten Gedanken sind im Unterbewußtsein oder Halbbewußtsein des Redners bereits als copia rerum vorhanden und brauchen nur durch geschickte Erinnerungstechnik wachgerufen (...) zu werden (Elemente § 40).
Die Beweisführung bedient sich hier der der amplificatio (vgl. HB § 400 ff.) mittels ratiocinatio[127] und congeries[128].
Die gesamte Beweisführung teilt sich in zwei große oppositionelle semantische Räume: Deutschland als 'Raum des patriarchalischen Erotikdiskurses', als 'Raum des patriarchalischen Machtdiskurses' und und Amerika als 'Raum der Frauen', als 'Raum eines der männlichen Macht entzogenen Lustdiskurses'.
Der erste Teil des Films (Deutschland) behandelt die heterosexuell orientierte Liebe. Durch die fortwährende Übertragung der Argumente der quaestio infinita auf die quaestio finita wird das Erotikkonzept der 'romantischen Liebe', das eingespannt ist in ein Netzwerk weiterer es bedingender Diskurse, als allein von Männern definiert aufgezeigt. Dieses dubium, die Suppression der Frau durch die Männer, darf nicht explizit ausgeprochen werden; die Schlußfolgerungen werden, da implizit vermittelt, den Rezipienten anheimgestellt[129].
Gerade der bürgerliche Erotikdiskurs zeigt, daß trotz des ihn begleitenden gesellschaftlichen Wandels das auf Abhängigkeit basierende Rollenbild und -verhalten von Mann und Frau nur schwer zu erschüttern ist. Die Frau dient dem Erhalt einer reinen Männergesellschaft. Sie ist die Duldende, die Gebende, die Verzichtende, nicht aktiv Agierende, sondern passiv Reagierende. Ihre Sexualität dient in erster Linie dem männlichen Lusterlebnis und der Reproduktion. Sie unterwirft sich den Normen einer 'patriarchalischen' Gesellschaft, deren Omnipräsenz ihr die Möglichkeit nimmt, ein alternatives Wollen überhaupt zu artikulieren. In diesen Propositionen setzt sich eine im 19. Jahrhundert mit der endgültigen Konstituierung der bürgerlichen Gesellschaft entstehende Geisteshaltung fort:
Niemals vorher in der Geschichte sind die Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit so polar ausgerichtet gewesen, niemals vorher wurden Männer und Frauen als unterschiedliche Wesen vorgestellt und auch zum Teil realisiert. Die Geschlechter gehören zwei getrennten Welten an, die Welt der Männer ist die öffentliche und anerkannte Welt der Ökonomie, Geschichte und Wissenschaft - Frauen als Personen sind aus dieser Welt ausgeschlossen; Frauen hingegen leben in der Welt des Privaten, der Familie, wo die Gesetze der »vernünftigen Liebe« das »göttliche GesetzFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.Polarisierung der Geschlechtscharakterehoben. Frauen als Gattinnen wurden zu instinktarmen, orgasmuslosen, fleischlosen Wesen erklärt. Monogamie in der Ehe und Jungfräulichkeit waren absolute Gebote, deren Nichteinhaltung gesellschaftliche Verachtung nach sich zog. (...) Die weibliche Sexualität und Sensualität war auf die Mutter- und Gattenliebe reduziert. Frauen des 19. Jahrhunderts internalisierten mit großen psychischen Kosten dieses Modell der Weiblichkeit als triebarmes, schönes und sich aufopfernd liebendes Wesen.[130]
Als logische Konsequenz dieser Darlegungen sehnt Dorothee Müller sich nun nach einem 'Land ohne Männer' und greift damit das bereits innerhalb der Deutschland-Sequenzen implizit formulierte Beweisziel - 'Dorothee Müller findet in einer Frau die Partnerin für die 'ideale Liebe' - auf.
Der zweite Teil des Filmes behandelt Amerika, das 'Land ohne Männer'. Handlungspragmatisch wird Dorothees 'Übersiedlung' durch die Suche nach ihrer Mutter motiviert. Auch das neue Beweisziel kollidiert mit extratextuellen Normen - Ideologie. Der Film verhandelt entsprechend zunächst im status coniecturae (HB § 150 ff.) als animi coniectura[131].
Die Erfahrungen, die Dorothee Müller im Zusammenspiel mit Ramona gemacht hat, werden montiert mit dem auf Figurenebene von Susie Sexpert vertretenen Beweisziel: 'Lust soll die Liebe ersetzen', das zunächst über eine Variante möglicher Liebeskonzeptionen in Dorothee Müllers Reportage über die 'romantische Liebe' hinaus nicht weiter funktionalisiert scheint. Erst in der peripetie wird das Beweisziel - 'Dorothee Müller findet in Ramona die Partnerin für die 'romantische Liebe', ähnlich der Strategie des ersten Teils des Films, als vorgetäuschtes entlarvt; die Episode Dorothee-Ramona stellt nun die refutatio dar.
Bewiesen ist: 'Die romantische Liebe ist eine Illusion und als solche nicht in die Realität umzusetzen'. Auf der Ebene der Frau-Frau-Beziehung, auf der die Protagonistin hoffte, die Männer hinter sich lassen zu können, bekommt sie zu spüren, daß das Konzept nicht aufgeht, weil es immer schon ein von Männern entworfenes und besetztes war und daher gilt: Die romantische Liebe ist die Unterwerfung des einen Partners durch den anderen.
Indem Dorothee Müller das Konzept endgültig 'über Bord wirft', erweisen sich hier die Darlegungen der Susie Sexpert als probatio: Die 'Liebe' ist nicht mehr der Rede wert und damit wird auch das Leiden als antiquierte Emphase verabschiedet. An die entstehende Leerstelle der Liebe tritt nun die Lust. An die Stelle des 'Leidens' tritt 'fun, fun'. Das übergeordnete, zentrale Beweisziel stellt gleichzeitig das Redeziel dar:
"Es geht hier um den Versuch, das scheinbar monolithische Tabu 'Pornografie für Frauen' in Europa anzugehen. Ich bin nahezu süchtig nach Bildern, auch pornographischen Bildern monströser, alltäglicher, aufreizender, grausamer und obszöner Frauen. Es gibt viel zu wenig Pornografie für Frauen und daran ist die hiesige Frauenbewegung nicht unschuldig. Die feministische Sex-Debatte war einseitig, sie erschöpfte sich in der Kritik patriarchaler Sexualität und der Utopie gewaltfreier Beziehungen zwischen Frauen. Meine Erfahrungen mit den 'bad girls' in Amerika', speziell meinen Freundinnen aus der Sexindustrie drüben, geben mir allerdings Hoffnung, daß bald auch in der alten Welt die Zahl der Obszönen Frauen größer wird."[132]
Die peroratio in Form eines offenen Schlusses suggeriert durch das neuerliche Aufgreifen des Liebesbegriffes eine Versöhnung mit innerhalb des Filmes permanent angegriffenen und infrage gestellten extratextuellen Normen.
Die oben aufgeführten verschiedenen internen Kommunikationsebenen werden der Argumentationsstrategie unterworfen. Der patriarchalische Diskurs, der Dorothee Müllers Lebenspraxis durchzieht, ist auch das bestimmende Moment ihrer Recherchen. In dem Grade, wie Dorothee Müller - als Figur und/oder als Off-Erzählerin - diesem Diskurs verhaftet ist, besteht eine deutliche Diskrepanz in der Erzählhaltung zwischen ihr und dem 'fiktiven Autor'. Je weiter sie ihre Untersuchungen über das Scheitern der romantischen Liebe vorantreibt und sich ihr dabei die Frage nach der Lächerlichkeit dieses Konzeptes aufwirft, wird aus dieser lächerlichen Figur eine nicht zu unterschätzende Rechercheurin, entwickelt sich die einstmals Naive zur Anwältin weiblicher Pornographie.
Selbstverständlich argumentiert dieser Film, selbstverständlich wird kritisiert; selbstverständlich liefert dieser Film eine Weltanschauung - wenn auch nicht unbedingt eine apologetische. Die 'eigenwillige' Gestaltung, die darüber hinwegtäuschen soll, bildet einen Tropus mit wirkungsästhetischer Intention:
"Die Tropen sind Rätselrede (...). Die Zumutung des Verständnisses an das Publikum bedeutet die Aufforderung zur aktiven (verständnisentschlüsselnden) Teilnahme des Publikums an der Schöpfung des Werkes. Damit erkennt der Dichter das Publikum als dem Dichter und der Dichtung ebenbürtig an. Der Tropus ist also ein künstlerisch-parteiisches englobement des Publikums. Das gilt besonders für schwierige Metaphern (...) und schwierige Periphrasen (...). Wird das englobement verfehlt, so ist die Wirkung >lächerlich< (...)." (HB § 556)
Wurde eingangs von einem möglichen 'Dilemma' zwischen Autorintention und Rezipientenreaktion gesprochen, so schließt sich nun der Kreis. Der Autorin, Regisseurin und Produzentin Monika Treut ging es offensichtlich um mehr als die Verfilmung der Entwicklungsgeschichte einer Lesbierin, wie sie der Verleih Edition Manfred Salzgerber - nicht zuletzt um, appelierend an voyeuristische Instinkte, eine möglichst hohe Zuschauerrate[133] zu erreichen - am Faden einer lesbischen Coming-Out-Story suggerierte.
Als die Zeitschrift "Emma"[134] 1988 mit der PorNO-Kampagne die bereits in den 70er Jahren initiierte Kampagne gegen Pornographie wiederbelebte und damit eine groß angelegte Diskussion auslöste[135], wurde deutlich, daß durch die 'neue'[136] Frauenbewegung ein Riß hindurchgeht. Auf der einen Seite stehen jene Kritikerinnen, die in der Pornographie die Spitze eines frauenfeindlichen, ausbeuterischen männlichen Machtblickes desavouieren[137], während auf der anderen Seite jene Kritikerinnen stehen, die die Pornographie jenseits einer Theorie des Geschlechterkampfes in die Kunst reintegrieren wollen, im Bemühen um die Entwicklung einer weiblichen Sprache und Ikonographie des Begehrens[138]. Unter letztere zählt sich auch Monika Treut[139]. Zu fragen bliebe, inwieweit es ihr gelingt, diese spezifisch 'weibliche' Sichtweise zu schaffen.
Die Untersuchung der Einlösung solch einer Aufgabenstellung war nicht Gegenstand meiner Arbeit. Vielmehr galt es, wie eingangs festgestellt wurde, diesen ungewöhnlichen Text auf der methodischen Basis von strukturaler Textanalyse und 'klassischer' Rhetorik die Argumentationsstruktur des Films "Die Jungfrauenmaschine" nachzuzeichenen und die Beweis- und Redeziele des erotischen Diskurses zu rekonstruieren.
4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur zu "Die Jungfrauenmaschine"
Dialogliste. Übersendet von der Edition Manfred Salzgeber (Berlin).
Liste der englischen Untertitel. Übersendet von der Edition Manfred Salzgeber (Berlin).
Liste der Übersetzung der englischen Untertitel. Übersendet von der Edition Manfred Salzgeber (Berlin).
Gespräch zwischen NDR-Redakteur Eberhard Scharfenberg und Monika Treut, maschinenschriftl. Manuskript. Übersendet von der Edition Manfred Salzgeber (Berlin).
Pressemappe mit Szenenphotos. Übersendet von der Edition Manfred Salzgeber (Berlin).
4.2. Sekundärliteratur
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Schenk, Herrad: Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland. München 31988.
Schiwy, Günther: Der französische Strukturalismus. Mode - Methode - Ideologie. Reinbek bei Hamburg 21969
Schwarzer, Alice (Hg.): PorNO. Die Kampagne, das Gesetz, die Debatte. Köln 1988 (= Emma-Sonderband 5)
Siegrist, Hansmartin: Textsemantik des Spielfilms. Zum Ausdruckspotential der kinematographischen Formen und Techniken. Tübingen 1986 (= Medien in Forschung + Unterricht, Serie A, Bd. 19).
Titzmann, Michael: Strukturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation. München 1977 (= Uni-Taschenbücher 582).
Treut, Monika: die grausame Frau. zum Frauenbild bei de Sade und Sacher-Masoch. Basel u. Frankfurt a. M. 1984.
Treut, Monika: Perverse Bilder. In: Beinstein 1986, S. 5-19.
Ueding, Gert: Einführung in die Rhetorik. Geschichte - Technik - Methode. Stuttgart 1976.
Verlag der Filmarbeiterinnen e.V.: Frauen Film Handbuch. Berlin 1983.
Wackwitz, Stephan, Trauer und Utopie um 1800. Studien zu Hölderlins Elegienwerk. Stuttgart 1982 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 104).
Woesler de Panafieu, Christine: Das Konzept der Weiblichkeit als Natur- und Maschinenkörper. In: Schaeffer-Hegel, Barbara von u. Brigitte Wartmann (Hg.): Mythos Frau. Projektionen und Inszenierungen im Patriarchat. Berlin 21984, S. 244-268.
4.3. Rezensionen
Der Verleih Edition Manfred Salzgeber (Berlin) übersendete mir freundlicherweise ein Konvolut von Rezensionen. Ein Teil dieser Rezensionen war in ihren bibliographischen Angaben unvollständig. Diese fehlenden Angaben konnten nicht alle recherchiert werden. Dennoch wurde auf die Zitation im Sinne einer Dokumentation nicht verzichtet
4.3.1. Rezensionen in bundesdeutschen Zeitungen
p.b. [i.e. Peter Buchka (Anm. d. Verf.)]: Wie nur über Liebe reden. Monika Treuts Film "Die Jungfrauenmaschine". In: Süddeutsche Zeitung Nr. 151 vom 05.07.1989.
Bannemann, Ingolf: Die Jungfrauenmaschine. In: filmtips der hannoverschen Programmkinos [ohne weitere Angaben (Anm. d. Verf.)].
Bastian, Günther: Die Jungfrauenmaschine. In: Katholisches Institut für Medieninformation e.V. (Hg.) 14. April 1989.
Frank, Gaby: Ja da muß man sich doch einfach hinlegen ... In: BLAU. Berliner Frauenzeitung Nr. 2, 11/90.
Franke, Henning: Deutscher Liebesfrust - amerikanische Körperlust. "Die Jungfrauenmaschine" von der Hamburgerin Monika Treut. In: [Hamburger (Anm. d. Verf.)] Morgenpost vom 30.03.1989.
Hein, Birgit: Liebe oder Lust? "Die Jungfrauenmaschine" von Monika Treut. In: Stadt Revue Köln 6/89.
H. Kü.: Neuer Film in Fraunkfurt. In: Frankfurter Rundschau vom 20.06.1989.
Hof-Nachlese. Filme, die uns auffielen. Die Jungfrauenmaschine von Monika Treut (BRD). In: tip Berlin Magazin Nr. 24/88 vom 10.11.-23.11.1988 [vgl. unter "wb"; ein Datum ist vermutlich falsch aufgenommen, da beide Artikel typographisch gleich sind und dasselbe Szenenphoto präsentieren, die Texte betonen dieselben Sachverhalte und befleißigen sich eines ähnlichen Stils, einer ist vermutlich auf der Basis des anderen 'umfrisiert' worden (Anm. d. Verf.)].
jv: Liebe ist für viele Schafe die allerschwerste Strafe. Scala zeigt Monika Treuts abgedrehten Film "Die Jungfrauenmaschine". In: nb [i.e. neue braunschweiger Zeitung (Anm. d. Verf.)] am Sonntag, Nr. 21 vom 28.05.1989.
Katholisches Institut für Medieninformation e.V. (Hg. in Zusammenarbeit mit der Katholischen Filminformation für Deutschland): film-dienst. Informationen über Kino, Fernsehen, Video, 41. Jahrgang, Nr. 27537 vom 18. April 1989.
Kern: Die Jungfrauenmaschine. Bildungsreise. In: zitty Berlin 4/89.
Kuhlbrodt, Dietrich: Die Jungfrauenmaschine. In: Szene Hamburg 3/89.
[Kuhlbrodt, Dietrich]: Die Jungfrauenmaschine. In: Neues Arena-Kino München. Spielplan vom 11.05.-05.07.1989 [gekürzter Nachdruck aus Szene Hamburg, 3/89 ohne Angabe des Autors (Anm. d. Verf.)].
Kuhlbrodt, Dietrich: Die Jungfrauenmaschine. Ein Film von Monika Treut. In: Neues Arena-Kino München, Spielplan vom 16.9.-25.10.1989 [= [gekürzter (Anm. d. Verf.)] Nachdruck aus Szene Hamburg, 3/89].
Martenstein, Harald: Blick auf die Leinwand. "Die Jungfrauenmaschine". In: Tagesspiegel vom 10.02.1989.
Rothschild, Thomas: Ein kurzer Film über die Liebe. Die "Jungfrauenmaschine von Monika Treut". In: Stuttgarter Zeitung Nr. 142 vom 24.06.1989.
Schödel, Helmut: Schön war die Zeit. Hofer Filmtage 1988. In: Die Zeit Nr. 45 vom 04.11.1988.
Strasser, Eva: Gurken zum Einführungspreis. In: Wiener 6/89.
Struck, Thomas: [Handschriftliche Mitteilung; in Kopie übersendet vom Verleih Edition Manfred Salzgeber (Berlin)].
wb: Hof-Nachlese. Filme, die uns auffielen. Die Jungfrauenmaschine von Monika Treut. In: tip Berlin Magazin 24/88 vom 10.11.-23.11.1988 [vgl. unter "Hof"; ein Datum ist vermutlich falsch aufgenommen, da beide Artikel typographisch gleich aufgemacht sind und auch dasselbe Szenenphoto präsentieren, die Texte betonen dieselben Sachverhalte und befleißigen sich eines ähnlichen Stils, einer ist vermutlich auf der Basis des anderen 'umfrisiert' worden (Anm. d. Verf.)].
4.3.2. Rezensionen in US-amerikanischen Zeitungen
Armatage, Kay: Virgin Machine. Monika Treut. [maschinenenschriftliche Zufügung: "From the 1988 Toronto Film Festival; sonst ohne weiteren Angaben].
Armstrong, David: For this Dorothee, S. F. is no Kansas. German film has journalist study. City's sex scene. In: San Francisco Examiner [ohne weitere Angaben (Anm. d. Verf.)].
Guthmann: Edward: 'The Virgin Machine'. Susie Sexpert' Wants to Be a Star. San Francisco 'sex educator' gets part in lesbian story. In: San Francisco Cronicle [ohne weitere Angaben (Anm. d. Verf.)].
Harris, Daniel: Virgin Machine. Thrilling Ride Through Underground S. F. In: Calendar Magazin.
Miller, Peter: Virgin Machine. In: New York Native vom 13.02.1989.
Neff, Renfreu: Funny Girls. In: New York Press vom 10.02.1989.
Taubin, Amy: Ballet Mécanique. In: The Village Voice. The Weekly Newspaper of New York vom 20.02.1989.
Virgin Machine. In: Square Peg No. 21, Oktober 1988 [ohne weitere Angaben (Anm. d. Verf.)].
Virgin Machine (Die Jungfrauenmaschine). West Germany, 1988. In: [Programmheft des Bleecker Street Cinema] New York [ohne weitere Angaben (Anm. d. Verf.)].
E R K L Ä R U N G
Hiermit versichere ich, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig verfaßt und keine anderen als die von mir angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
München, am 25.01.1991
Angela Stascheit
5. Fußnoten
[1] Welturaufführung im Rahmen des "Annual Toronto International Festival (Festival of Festivals)" vom 10.-19.09.1988 in Kanada; deutsche Erstaufführung bei den 22. Internationalen Hofer Filmtagen (26.-30.10.1988); Kinostart im Februar 1989 (zu weiteren Angaben vgl. die Angaben am Ende des dieser Arbeit als Bd. 2 beiliegenden Filmprotokolls).
[2] Z.B. Dietrich Kuhlbrodt: "Das geglückte Coming-out einer Kunstfigur." In: Szene Hamburg 3/89, S. 82-83. - "Stellungnahme der Kommission: Eine junge Journalistin gelangt bei Untersuchungen von 'romantischer Liebe als Krankheit der Frau' durch lesbische Erlebnisse zu ihrer sexuellen Identität." (film-dienst. Informationen über Kino, Fernsehen Video 9/89 vom 14. April 1989, Nr. 27537.
[3] Zusammen mit Kamerafrau Elfi Mikesch: "Hyäne-Film I/II" (Hamburg und New York)
[4] Gespräch zwischen NDR-Redakteur Eberhard Schafenberg und Monika Treut, zitiert nach einem vom Verleih Manfred Salzgeber (Berlin) übersendeten Manuskript.
[5] Ebd.
[6] Vgl. Rhetorik und Strukturalismus, hg. v. Johannes G. Pankau u. Thomas Pekar. Tübingen 1990 (= Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 9).
[7] Vgl. Michael Titzmann: Strukturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation. München 1977, S. 9 (im weiteren zitiert als Titzmann 1977).
[8] Titzmann 1977, S. 9.
[9] So Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes. In: Schiwy, Günther (Hg.): Der französische Strukturalismus. Mode - Methode - Ideologie. Reinbek bei Hamburg 21969, S. 158-166 [übersetzter und gekürzter Abdruck der erstmalig unter dem Titel "La Rhétorique de L'Image" in der Zeitschrift "communications" 4 (1964), S. 40-51 erschienenen Beitrags], S. 158 (im weiteren zitiert als Barthes 1969).
[10] Vgl. Bonsiepe, Gui: Visuell/verbale Rhetorik. Visual/verbal Rhetoric. In: ulm 14-16 [Zeitschrift der Hochschule für Gestaltung, Ulm 1965], S. 22 (im weiteren zitiert als Bonsiepe 1965).
[11] Bonsiepe 1965, S. 31.
[12] Bonsiepe 1969, S. 31.
[13] "Auf Plakaten, in Annoncen, in Film- und Fernsehspots (...)" (Bonsiepe 1965, S. 31).
[14] Bonsiepe 1965, S. 31.
[15] Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 2 Bde. München 1960. 2. erweiterte und überarbeitete Auflage München 1973 (2 Bde.), 3. Auflage [mit einem Vorwort von Arnold Arens versehener unveränderter einbändiger Nachdruck der 2. Auflage] Stuttgart 1990; eine weitere von Arnold Arens verfertigte Überarbeitung befindet sich derzeit in Arbeit.
[16] Bonsiepe 1969, S. 31.
[17] Bonsiepe 1965, S. 29.
[18] Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes. In: Schiwy, Günther (Hg.): Der französische Strukturalismus. Mode - Methode - Ideologie. Reinbek bei Hamburg 21969, S. 158-166 [übersetzter und gekürzter Abdruck der erstmalig unter dem Titel "La Rhétorique de L'Image" in der Zeitschrift "communications" 4 (1964), S. 40-51 erschienenen Beitrags].
[19] Schiwy, Günther: Der französische Strukturalismus. Mode - Methode - Ideologie. Reinbek bei Hamburg 21969, S. 158. - "Die Bildreklame ist direkt, zumindestens eindringlich" (Barthes 1969, S. 159).
[20] Barthes 1969, S. 164 f.
[21] Eco, Umberto: Die Gliederung des filmischen Code. In: Knilli, Friedrich Hg. (unter Mitarb. von Erwin Reiss): Semiotik des Films. Mit Analysen kommerzieller Pornos und revolutionärer Agitationsfilme, München 1971, S. 70-93 (im weiteren zitiert als Eco 1971).
[22] Eco 1971, S. 93, vgl. auch Barthes 1969, S. 163.
[23] Kaemmerling, [Hans] Ekkat [i.e. Ekkehart]: Rhetorik als Montage. In: Knilli, Friedrich (Hg. unter Mitarb. von Erwin Reiss): Semiotik des Films. Mit Analysen kommerzieller Pornos und revolutionärer Agitationsfilme, München 1971, S. 94-109 (im weiteren zitiert als Kaemmerling 1971).
[24] Kaemmerling 1971, S. 94.
[25] Vgl. Kaemmerling 1971, S. 95.
[26] Vgl. Kaemmerling 1971, S. 96 ff.
[27] Vgl. Kaemmerling 1971, S. 95 ff.
[28] Barth, Hermann: Psychagogische Strukturen des filmischen Diskurses in G. W. Pabsts Film 'Kameradschaft' (Deutschland 1931). [Maschinenschriftl.] Diss. phil. München 1990 (im weiteren zitiert als Barth 1990).
[29] Barth 1990, S. 13.
[30] Diese Tendenz zeigte sich auch bei dem Symposion "Rhetorik zwischen den Wissenschaften" im November 1989 in Blaubeuren. In der Ankündigung des Buches: "Ueding, Gert (Hg.): Rhetorik zwischen den Wissenschaften. Akten des internationalen und interdisziplinären Symposions »Rhetorik zwischen den Wissenschaften« Blaubeuren, 17. bis 19. November 1989, Tübingen 1991 [im Druck] (= Rhetorik-For_schungen 1)" durch den Prospekt "Neuerscheinungen und Neuauflagen im 2. Halbjahr 1990" des Max Niemeyer Verlages (Tübingen) finden sich zwar Beiträge zu einer 'Rhetorik des »ildes', jedoch kein einziger die hier angesprochenen Probleme der Filmanalyse betreffender Beitrag.
[31] Barth 1990.
[32] Vgl. Barth 1990, S. 9.
[33] Barth 1990, S. 14.
[34] Barth 1990, S. 17.
[35] Barth 1990, S. 17.
[36] Barth 1990, S. 17.
[37] Barth 1990, S. 17.
[38] Eco 1971, S. 76: "Ein ikonisches Zeichen ist fast immer ein Sema, d. h. etwas, was nicht einme Wort, sondern einer Aussage der Wortsprache entspricht".
[39] Titzmann 1977, S. 403.
[40] Barth 1990, S. 18.
[41] Auf das Problem der Relevanz als Problem der Rechtfertigung einer Datenselektion, geht Titzmann eingehend ein. "Relevanzkriterien können garantieren, daß die erfaßten Daten relevant sind; Relevanzkriteriterien können nicht garantieren, daß alle relevanten Daten erfaßt sind". Die Relevanz ergibt sich nicht einfach aus der Willkür der Rezipientenhaltung. Schließlich wird die Datenselektion ja nachprüfbar durch die erforderliche Formulierung heuristischer Kriterien der Auswahl, die das "Äquivalent der nicht erreichbaren 'Vollständigkeit' der Analyse" sind (vgl. Titzmann 1977, S. 343-380, hier nach S. 345).
[42] Vgl. Barth 1990, S. 18, Anm. 12.
[43] Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München 1972, S. 274 (vgl. auch S. 278).
[44] Zu expliziten und impliziten Propositionen vgl. Barth 1990, S. 19 u. Titzmann 1977, S. 180-263.
[45] Barth 1990, S. 19.
[46] Vgl. Barth 1990, S. 19.
[47] Vgl. Barth 1990, S. 18.
[48] Barth 1990, S. 19.
[49] Vgl. Barth 1990, S. 20. Dieses Kommunikationsmodell wird hier referiert, da die Analyse auch der "Jungfrauenmaschine" immer wieder diese Definitionen in die Überlegungen einbezieht.
[50] Barth 1990, S. 20.
[51] Vgl. dazu auch den etwas veralteten Ansatz von Lausberg, HB § 115.
[52] Barth 1990, S.20.
[53] Eco 1971, S. 82.
[54] Eco 1971, S. 82.
[55] Barth 1990, S. 20.
[56] Vgl. Barth 1990, S. 20.
[57] Vgl. Barth 1990, S. 20.
[58] Vgl. Barth 1990, S. 20.
[59] Barth 1990, S. 20.
[60] Vgl. Barth 1990, S. 20.
[61] Das Hamburger Filmbüro sprach von einem Exposé und verwies mich im Rahmen des Urheberrechtes auf Monika Treut. Monika Treut gestattete mir keine Einsichtnahme.
[62] Vgl. auch HB § 443-452.
[63] Gert Ueding: Einführung in die Rhetorik. Geschichte - Technik - Methode. Stuttgart 1976, S. 210.
[64] Vgl. Junggesellenmaschinen. Les Machines Célibataires. [Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung in Venedig 1975] Mit Beiträgen von Marc Le Bot u.a. (Redaktion: Jean Claire u. Harald Szeemann) [Alfieri], Venedig 1975 [Agentur für geistige Gastarbeit, Harald Szeemann, Civitanova Marche].
[65] Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Pfister, Manfred: Gattungserwartung und Titel als Vorinformation. In: Das Drama. München 41984, Kap. 3.2.1., S. 68-70.
[66] Vgl. Guthmann: Edward: 'The Virgin Machine'. Susie Sexpert' Wants to Be a Star. San Francisco 'sex educator' gets part in lesbian story. In: San Francisco Cronicle [weitere Angaben nicht ermittelbar (Anm. d. Verf.)].
[67] Es bleibt offen, ob es sich um ein Buch von oder über C. G. Jung handelt.
[68] Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 2 Bde. München 1973, S. 142, § 257.2.a (Bezeichnungen, die aus dem Handbuch stammen, werden im folgenden als "HB" unter Angabe des Paragraphen zitiert).
[69] "Wenn in der Rhetorik von ironia gehandelt wird, so ist in erster Linie die Simulations-Ironie gemeint" (HB § 902.2.).
[70] Vgl. Branigan, Edward: Point of View in the Cinema. A Theory of Narration and Subjectivity in Classical Film. Berlin, New York, Amsterdam 1984 (= Approaches to Semiotics 66), und: ders.: Formal Permutations of the Point-of-View-Shot. In: Screen 16, Nr. 3 (Autumn 1975), S. 54-64.
[71] Wird der Terminus 'Schwarz-Weiß-Malerei' wörtlich genommen, läßt sich das monochrome Filmmaterial als ironisch gemeinte Anspielung auf Identifikationsmechanismen lesen.
[72] Nach telefonischer Auskunft Monika Treuts vom 12.12.1990 handele es sich bei der Sängerin um Katyana Ranieri, das Lied trage den Titel "Morir di desiderio"; im Handel nicht erhältlich.
[73] "Innerhalb des komplexen audiovisuellen Gesamterlebnisses erfolgt die Rezeption der Musik mit geteilter Aufmerksamkeit, zumeist peripher, zum Teil sogar unbewußt. Im Gegensatz zur Rezeption autonomer Musik wird dabei weniger von der strukturellen Komposition als von der klanglichen Oberfläche der Musik wahrgenommen. [...] Das ständige Vorhandensein eines visuellen Korrelativs und der Kontext von Handlungen, Dialogen und Situationen grenzen den Assoziationsspielraum der musikalischen Inhalte ein. Daher kann der Inhalt der Filmmusik nicht allein aus sich heraus bestimmt werden; es muß das Zusammentreffen mit den komplexen audiovisuellen Erlebnisformen beachtet werden" (Peter Rabenalt: Die auditiven Elemente als Bestandteil des film- und fernsehkünstlerischen Abbildes (S. 150-173); Kap. 7: Entwicklungsgeschichtliche Aspekte zur Filmmusik. In: Beiträge zur Theorie der Film- und Fernsehkunst, hg. von der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf« Ber_lin 1987, S. 159_f.). Vgl. dazu auch Gabriele Brößke: "... a lan_guage we all understand". Zur Analyse und Funktion von Filmmusik. In: Strategien der Filmanalyse, hg. v. Ludwig Bauer, Elfriede Le_dig u. Michael Schaudig, Mün_chen 1987, S. 9-23.»
[74] Lausberg, Heinrich: Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie. München 81984, § 83.2., S. 39 (im folgenden zitiert als "Elemente" unter Angabe des Paragraphen).
[75] Wackwitz, Stephan, Trauer und Utopie um 1800. Studien zu Hölderlins Elegienwerk. Stuttgart 1982, S. 57, (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 104) Zitat: Johann August Eberhard, Handbuch der Ästhetik für gebildete Leser aus allen Ständen in Briefen, Halle 1803, S. 351 u. S. 348 f., zitiert nach Hans-Wolf Jäger: Politische Kategorien in Poetik und Rhetorik der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1970, S.23
[77] Vgl. S. 6.
[78] Es sind beide Lesarten möglich. Der mit 'H. Kü' signierende Rezensent (Frankfurter Rundschau vom 20.6.89) konstatiert: "Sie schläft mit ihm".
[79] Nach Pierre Kandorfer: Lehrbuch der Filmgestaltung. Theoretisch-technische Grundlagen der Filmkunde. Erweiterte und überarbeitete Ausgabe des erstmals unter dem Titel "Lehrbuch der Filmgestaltung" erschienenen Buches (Köln 1978). Köln 31987, S.282 ff. Dort: "Dieser [der 'reine Low-Key-Stil'] eignet sich besonders für die Darstellung zahlreicher dramatischer Situationen: geheimnisvolle Vorgänge, Verbrechen oder etwa psychologische Studien".
[80] Werbeposter zu "DER TERMINATOR".
[81] Ähnlich auch die Interpretation von Theresa Georgen: Blickwechsel - auch im Film. Anmerkungen zu einem Wandel in feministischen Filmtheorien am Beispiel der Jungfrauenmaschine« In: kriti_sche berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften. Mittei_lungen des Ul_mer Vereins für Kunst- und Kulturwissenschaften. Hg. v. Anne_gret Hoberg, Detlef Hofmann, Vik_toria Schmidt-Linsen_hoff u. Ellen Spickernagel. Jahrgang 18, 19»0, Heft 1, S. 56-64. Theresa Georgen interpretiert diese Einstellung "als filmästhetisches Äquivalent der romantischen Innenwelt von Dorothee Müller, in der sich Realität und Traum vermischen" (a.a.O., S. 58).
[82] Freundliche Auskunft von Herrn Dipl.-Biol. Stefan Borgmann.
[83] "Innerhalb einer grundsätzlich »objektivenFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.innerenFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.äußerenFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.Die Figur denktFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.fft sich hier die laut »denkende« handelnde Figur mit dem Ich-Erzäh_ler aus der epischen Literatur, der als personi_fizierte Autoren_rede ebenfalls über die zweite auditive Schicht Eingang in die Filmkunst ge_funden hat" (Peter Rabenalt: Die auditiven Elemente als Bestandteil des film- »nd fernsehkünstlerischen Abbildes (S. 150-173); Kap. 4: Sprache als Gedankenstimme, innerer Monolog, Erzählerstimme und Autorenkommentar In: Beiträge zur Theorie der Film- und Fernsehkunst, hg. von der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf« Berlin 1987, S. 155_f.).»
[84] Vgl. zu den verschiedenen Arten der Beweise HB § 350-426.
[85] "Was unterscheidet die argumentatio von den Argumenten? Daß die Argumente das sind, durch das die causa bewiesen wird, die argumentatio ist tatsächlich nur der Ausdruck, durch den die Argumente selbst in Worte gefaßt werdeni mthilfe von Worten dargelegt werden" (Freie Übersetzung nach Lausberg/Fortun. 2,23 HB § 349).
[86] Vgl. Bornemann, Ernest: Lexikon der Liebe. Materialien zur Sexualwissenschaft. Wien 1984, Stichwort Hunger und Liebe: "Das Jungtier entwickelt das Bedürfnis nach einem anderen Wesen der gleichen Art aus dem Lustgefühl heraus, das es beim Saugen an der Mutterbrust empfindet", S. 633.
[87] Während des ganzen Interviews ist Mendel damit beschäftigt, eine Roulade zu verzehren.
[88] "Uta Ranke-Heinemann - die erste Frau der Welt, die einen Lehrstuhl für katholische Theologie innehatte - erregte internationales Aufsehen, als sie die Jungfrauengeburt Marias nicht biologisch, sondern ausschließlich theologisch deutete und ihr die Kirche die Lehrerlaubnis entzog. Den Eklat nahm Frau Ranke-Heinmann zum Anlaß, das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Frauen und zur Sexualität gründlich aufzuarbeiten. Sie weist nach, daß antifeministische und lustfeindliche Positionen die Kirchengeschichte von den Anfängen bis zu Johannes Paul II geprägt haben" (Klappentext zu: Uta Ranke-Heinmann: Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität. Hamburg 151990. Vgl. dort bes. das 3. Kap.: Das neue Testament und seine Mißverständnisse. Über Jungfrauengeburt, Zölibat und Wiederheirat Geschiedener, S. 31-49). Sendung, Sender und Sendedatum konnten nicht eruiert werden; auch Monika Treut konnte im Telefongespräch vom 12.12.1990 diese Angaben nicht machen.
[89] Die Beschreibung trifft auf den zweiteiligen 'Horrorklassiker' "The Texas Chainsaw Massacre" (deutsch: "Blutgericht in Texas") zu (USA 1974; Teil 2 USA 1986, Regie bei beiden Filmen: Tobe Hooper. Für weitere Daten vgl. Lentz, Harris M.: Science fiction, horror & fantasy film and television credits (3 Bde.), Bd. 2, S. 1121 und die Beilage ("Zusätzlich im Programm. 9. November bis 22. Dezember 1990") zum Programm vom 4. bis 26. November 1990 des Münchner Stadtmuseums/Filmmuseums in Zusammenarbeit mit dem Münchner Filmzentrum e.V..
[90] Debi Sundahl gibt zusammen mit mit Nancy Kinney, die im zweiten Teil des Filmes die Türsteherin der "Lady's Bar" spielt, "On Our Backs", ein Erotic-Magazin für Lesben heraus; ihre Filmproduktion heißt "Blush-Productions". Beide organisieren auch jene Striptease-Shows, die im zweiten Teil des Filmes vorkommen.
[91] Jim Whiting, geb. am 11.1.1951 in Paris; seit 1979 freischaffender Künstler; lebt in London. Im Ausstellungskatalog der Galerie Klaus Littmann (Jim Whiting. Unnatural Bodies, hg. von der Galerie Klaus Littman. Mit einem Essay von Jürg Laederach. Basel 1988) findet sich auf S. 64 eine Abbildung, die den Darstellungen der Einstellung 118 in der 'Jungfrauemaschine' entspricht. Monika Treut gab im Telefonat vom 12.12.90 an, sie habe von Jim Whiting "weggeschnittenes Filmmaterial" zur Verfügung gestellt bekommen.
[92] Die Einstellung bei Buñuel zeigt das Auge frontal, Treuts Einstellung im Profil.
[93] Der Ausdruck 'pervers' wird nach der vom Verleih Manfred Salzgeber übersendeten Dialogliste beibehalten.
[94] Laut telefonischer Auskunft Monika Treuts vom 12.12.1990 handelt es sich bei dieser Passage um ein Zitat von "Montalvio", das sie "irgendwo gefunden" hat. Sie konnte die Quelle nicht nennen. Vermutlich ist das Zitat Bestandteil des vierbändigen Romans "Amadís de Gaula" von Garci Rodríguez [oder Ordóñez] de Montalvo, der 1508 in Saragossa unter dem Titel "Los quatro libros del muy esforcado cauallero Amadis de Gaula" erschien, denn die Handlung führt den Helden Amadís um die ganze Welt. Dieser Sachverhalt konnte aufgrund mangelnder Spanischkenntnisse nicht nachgeprüft werden; die deutsche Übersetzung (Frankfurt/M. 1569-1598) war mir nicht zugänglich.
[95] Vgl. Pfister: 1982, Kap. 6.1.2.2.: "Wir definieren mit A. Hübler Handlung als die 'absichtsvoll gewählte, nicht kausal bestimmte Überführung einer Situation in eine andere'. Eine Handlung weist also immer eine triadische Struktur auf, deren Segmente die Ausgangssituation, der Veränderungsversuch und die veränderte Situation sind" (S. 269).
[96] Dennoch gibt es eine implizite, auf kulturellem Wissen basierende Verbindung zwischen dem Zitat und Dorothee Müllers Reise nach Kalifornien: "Nur wenige Tage vor dem Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo zwischen den USA und Mexiko fand James W. Marshall an einem kalten Januarmorgen des Jahres 1848 in John Suttners Mühlfluß das erste kalifornische Gold. [...] Der kalifornische Goldrausch rief die größte Menschenwanderung seit den Kreuzzügen hervor. [...] Die Zeitungen im Osten Amerikas meldeten, daß das Gold buchstäblich auf der Straße herumläge" (Egon Olessak: Kalifornien. München 1981, S. 36 ff.).
[97] "In der Literatur wird der Aufmerksamkeitseffekt [u.a.] hergestellt durch (...) den Ausdruck des Staunens, der auch den Zuschauer zum Aufmerken und zur Staunensbereitschaft veranlaßt" (HB § 269).
[98] Vgl. Blaschka, Anton: Der Topos scribendi solari - Briefschreiben als Trost. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ges.-Sprachw., Jahrg. V, Heft 4, S. 637-638.
[99] Meine Argumentation gründet hier in den aus der 'Puppenspiel-Sequenz' (E 60 ff.) und der Passage mit Uta Ranke-Heinemann (E 86 ff.) gezogenen Propositionen.
[100] Ronald Reagan, amerikanischer Präsident von 1980-1988.
[101] Papst Johannes Paul II, Karel Woytila, besuchte die USA vom 10.-18. September 1987 (freundliche Auskunft der Pressestelle der Katholischen Kirche München).
[102] Im Telefonat vom 12.12.1990 konnte Monika Treut sich nicht mehr daran erinnern, um welches Buch es sich handelt. Meine Recherchen konnten ein Buch dieses Titels nicht als existent nachweisen.
[103] Auf beiden mir zur Verfügung stehenden Videokopien wies die Übertragung an dieser Stelle Fehler auf; in der nicht-untertitelten Kopie ('Original-Version') gibt es ca. 7 Sekunden Schwarzfilm (E 204 setzt ca. 2 Sekunden zu spät ein), in der englisch untertitelten Version ('Export-Kopie') fehlt E 203; dafür ist E 204 vollständig vorhanden. Ich messe diesen Tatsachen keine Signifikanz bei; meiner Meinung nach handelt es sich um einen bloßen Kopierfehler, zumal diese Stelle sich ziemlich genau in der Mitte des Films befindet (Während der Kopie [evtl. schon auf das U-matic-Band) Wechsel von zwei Filmrollen).
[104] "Die audiovisuellen Medien Film und Fernsehen reproduzieren Geräusche in ihrer unmittelbaren Geräuschqualität. Sie wirken dadurch analog zu den Geräuschen in der Realität und darüber hinaus assoziativ auf das psychische Befinden des Rezipienten ein, ohne bereits eine ästhetische Wertung auszudrücken zu müssen. Synchron mit den Abbildungen verbunden, tragen Geräusche bereits als Bestandteil der Szene - ohne besondere dramaturgische Funktion - zur verstärkten Raumimagination und damit zum medienspezifischen Anwesenheitseffekt bei. Zusammen mit der Montage der Einstellungen erweitern sie als szenische Vorgänge im »off Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf« Berlin 1987, S. 152)»
[105] Zitat aus "I-Ging. Text und Materialien. Aus dem Chinesischen übersetzt von Richard
Wilhelm. Mit einer Einleitung von Wolfgang Bauer. München 151988, S. 97 [Der Text entspricht dem Wortlaut des ersten Bandes I Ging
in der Erstausgabe Jena 1924 (Erstes und Zweites Buch). Der Inhalt des Zweiten Bandes (Drittes Buch) bleibt ausgespart, er ist nur in der Hardcoverausgabe I Ging - Das Buch der
Wandlungen - komplett erhalten]. Der Urteilsspruch bezieht sich auf das Zeichen "SCHI HO - DAS DURCHBEISSEN"
Auch C. G. Jung beschäftigte sich mit dem I Ging und fand hier weitere Belege für seine Theorie von den Archetypen.
[106] "Manche der filmischen Repräsentationen von Lesben treffen in der Tat auf reale Frauen zu: beispielsweise, daß Frauen sich zur größeren Sichtbarkeit und besseren Kommunikation untereinander manchmal an den entsprechenden Ikonen ausrichten und diese für sich nutzen" (Stefanie Hetze: Happy-End für wen? Kino und lesbische Frauen. Frankfurt/Dülmen 1986, S. 103). Stefanie Hetze interpretiert den Rückgriff auf typisch 'männliche' Ikonographie als Möglichkeit der "ichstärkenden Spiegelung der Zuschauerin" (S. 108). Ich persönlich kann diesem Ansatz nicht folgen, denn konventionell wird dieser 'männlichen' Frau eine 'weibliche' Partnerin beigesellt (vgl. Hetze, S. 108 ff.) - der Normvorgabe des heterosexuellen Paares wird entsprochen, über die Homosexualität hinweggeleugnet. - Treut setzt schließlich die lesbische Beziehung auch als solche zwischen zwei 'weiblichen' Frauen und folgt damit dem bereits in anderen Filmen (vgl. z.B. Hetze, S. 117 ff.) eingeläuteten Paradigmenwechsel der Darstellung lesbischer Frauen im Film
[107] "[...] I asked the man, who makes these, to do something that was very fat, but yet short. Because some women like something long like this, but others: It hurts them, it bumps again them in the wrong way" (E 217).
[108] "This is one of my favourite toys, this is a new one, it's a flip with a dildo on the end of it. [...] It feels like spaghetti, rubber spaghetti, it has a nice little snap to it as well" (E 223)
[109] "[...] I am using condoms all the time now on my toys, so for example I could use this one on one girl and than just turn right around and strip it of and put on another one. It keeps ist clean for everybody involved" (E 220). An dieser Stelle wird implizit die AIDS-Problematik angesprochen; die Darstellerin der Susie Sexpert, Susie Bright, wirkte als Darstellerin eines pornographisch gestalteten AIDS-Aufklärungsfilmes mit [Angaben nachtragen!].
[110] Amerika hat in Andrea Dworkin ein (weniger flexibles und humorloseres) Pendant zu Alice Schwarzer, so daß der Appell auch in Amerika seine Adressatinnen findet.
[111] Im Bildhintergrund liegt ein Luftpostumschlag.
[112] Sie wählt eine vierzehnstellige Nummer.
[113] Mona Mur: "Wenn du gehst, bleibt es kalt, bleibt es dunkel etc.".
[114] Stefanie Hetze 1986 weist auf die 'Strategie der Vermeidung von Konnotationen zu homosexuellem Verhalten' bei Hosenrollen hin: "Solange direkte lesbische Konnotationen ausgeschlossen sind und die Dramaturgie das Verhalten der Hosenrollenträgerin als 'eigentlich' heterosexuell ausweist, dürfen selbst Tête-à-têtes mit höchst intimem Charakter wie das zwischen Ladx Ellinor und Viktor/ Susanne stattfinden" (S. 111); diese Darstellung wirkt im Gegensatz zu der in der "Jungfrauenmaschine" normkonform.
[115] Stellvertretend für positive Zuschauerreaktionen der 'empirischen Rezipienten' sei hier die freundlicherweise von der Edition Salzgeber (Berlin) übersendete Kopie einer handschriftlichen Mitteilung des Filmemachers Thomas Struck angeführt: "Der Film 'Jungfrauenmaschine' enthält einen [sic!] der besten Striptease-Nummern aller Zeiten. Niemand wird die Dame im Macho-Bubi-Look vergessen, deren Bewegungen unbeschreiblich weiblich sind, deren Augen die Sterne runterholen und die schließlich mit einem Bier abspritzt. Dafür gehe ich gern nochmal ins Kino und lache mir einen ab." - Stellvertretend für negative Zuschauerreaktionen der 'empirischen Rezipienten' sei hier die Besprechung von Günther Bastian in: film-dienst. Informationen über Kino, Fernsehen, Video 8/89 vom 18. April 1989, Nr. 27537, angeführt: "[...] so versucht Treut eine Bildersprache für das Obszöne zu finden. Das gerät ihr jedoch zu einer Pornografie, die in einer Verschmelzung von reflektionsloser Lesbenverklärung und gehässiger Männerverachtung zu einer besonderen 'Pointe' gelangt, daß eine Herrenimitatorin in einem Szenenlokal in den ordinärsten Formen männliches Sexualverhalten lächerlich macht."
[116] Die animi coniectura (...) betrifft die seelische Disposition. (...) Eine animi coniectura ist auch die Frage >Liebt er mich?< (...), und zwar als quaestio (s'il m'aime) von zwei Parteistandpunkten aus (...). Als Beweisgründe für das Vorhandensein der Liebe werden (...) gehäufte Wahrscheinlichkeitsgründe gebracht" (HB § 154).
[117] "Chinatown in San Francisco ist die größte chinesische, ja fernöstliche Kolonie der Welt" (Egon Olessak: Kalifornien. München 1981, S. 137).
[118] Vgl. E 294: "We got crabs [= Herpes] at Fisherman's Wharf!"
[119] Nach dem Telefonat folgt das persönliche Kennenlernen, dann die ähnliche Kleidung, darauf das Umarmen beim Aussteigen aus der Limousine, schließlich das "I love you"-Porträt.
[120] In E 194 ff., beim Kennenlernen Dominiques und Dorothee Müllers, setzt Dominique dem Konzept der 'romantischen Liebe' ("Von der Liebe und den Abgründen des Gefühls") ein unsexuelles Liebeskonzept, das als 'Freundschaft' bezeichnet werden kann, entgegen: "Ich wohne deswegen mit meiner Schwester und meiner großen Liebe ... Susu. ... er ist ein .... Kater". Schwester und Kater werden in diesen Sequenzen (E 326 ff.) gezeigt.
[121] Das Motiv 'Zigarette' wird hier erstmalig präsentiert; es kann ebenfalls als Zeichen für die 'neue Geisteshaltung' Dorothee Müllers gewertet werden.
[122] "Diese rotorangene Hängebrücke [...] war sein Leben. 1937 wurde sie eröffnet, 1938 starb sein Konstrukteur [der Schweizer Joseph B. Strauß]" (Egon Olessak: Kalifornien. München 1981, S. 108).
[123] Vgl. z.B. "Die kuragierten Ladies. Englischer Kuperstich von Cruikshank". Abb. 190 in: Eduard Fuchs. Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart in 3 Bänden. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1912, Berlin o.J., Bd. III, S. 183.
[124] Peter Gorsen: Die beschämende Maschine. Zur Eskalation eines neuen Mythos. In: Junggesellenmaschinen 1975, S. 130-143, Zitat S.132.
[125] Vgl. dazu auch HB § 115.
[126] "Die sermocinatio ist die der Charakterisierung natürlicher (historischer oder erfundener) Personen dienende Fingierung von Aussprüchen, Gesprächen oder Selbstgesprächen oder unausgesprochenen gedanklichen Reflexionen der betreffenden Personen" (HB § 820).
[127] "Die ratiocinatio (...) ist eine indirekte amplificatio durch coniectura (...) aus den Begleitumständen des gemeinten Gegenstandes: es werden die Begleitumstände des Gegenstandes amplifiziert. Damit wird dem Publikum der (nicht ausdrücklich ausgeführte) Rückschluß (ratiocinatio) auf die Größe des zu behandelnden Gegenstandes selbst suggeriert (...). - Die ratiocinatio ist also durch ihren indirekten Charakter mit der Emphase verwandt" (HB § 405).
[128] "Die congeries ist die Häufung synonymer Wörter und Sätze (...). Hierbei kann die innere Struktur der congeries eine ordnungslose Fülle oder eine Skala sich steigernder Glieder sein (...). Die congeries ist also eine >Breitenamplifizierung<: die in allen Arten der Amplifizierung gemeinte graduelle Steigerung wird durch Ausdehnung der Aussage erreicht" (HB § 406).
[129] Vgl. S. 9 f.
[130] Woesler de Panafieu, Christine: Das Konzept der Weiblichkeit als Natur- und Maschinenkörper. In: Schaeffer-Hegel, Barbara von u. Brigitte Wartmann (Hg.): Mythos Frau. Projektionen und Inszenierungen im Patriarchat. Berlin 21984, S. 252 f.
[131] Die animi coniectura (...) betrifft die seelische Disposition. (...) Eine animi coniectura ist auch die Frage >Liebt er mich?< (...), und zwar als quaestio (s'il m'aime) von zwei Parteistandpunkten aus (...). Als Beweisgründe für das Vorhandensein der Liebe werden (...) gehäufte Wahrscheinlichkeitsgründe gebracht" (HB § 154).
[132] Monika Treut: Perverse Bilder. In: Krista Beinstein: Obszöne Frauen. Mit einem Essay von Monika Treut. Wien 1986, S. 5.
[133] "Daß die meisten unserer Filme sich am Markt nicht amortisieren, müssen wir als Grundvoraussetzung akzeptieren. Das heißt nicht, daß man nicht auch versuchen sollte, wirtschaftlich erfolgreiche Filme zu machen, und das funktioniert ja auch. Die JUNGFRAUENMASCHINE z.B., die in Hof vor zwei Jahren katastrophal unter die Räder gekommen ist, läuft jetzt in der Bundesrepublik auf die 100.000 Zuschauer zu, und der Film ist in 23 Länder verkauft worden (T. Teichert in: Roth, Wilhelm: Die Zukunft des Kinos (6). Gespräch mit Torsten Teichert. In: epd Film. Zeitschrift des Evangelischen Pressedienstes, hg. vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e. V. 7. Jahrgang 1990, 6/90, S. 10)
[134] Schwarzer, Alice (Hg.): PorNO. Die Kampagne, das Gesetz, die Debatte. Köln 1988 (= Emma-Sonderband 5)
[135] Vgl.: "Die erotische Gegenkultur muß her". In: Der Spiegel Nr. 44 vom 31.10.1988, S. 254-273 [o.A.].
[136] Die sogenannte 'neue' Frauenbewegung konstituiert sich in der Folge der von Helke Sander während der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes im September 1968 in Frankfurt gehaltenen Rede des "Aktionsrates zur Befreiung der Frauen" mit der Abspaltung der Frauen vom Sozialistischen Deutschen Studentenbundes.(vgl. dazu z.B. Schenk, Herrad: Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland. München 31988, S. 83 ff.)
[137] Vgl. Schwarzer, Alice (Hg.): PorNO. Die Kampagne, das Gesetz, die Debatte. Köln 1988 (= Emma-Sonderband 5)
[138] Vgl. Treut, Monika: Perverse Bilder. In: Krista Beinstein: Obszöne Frauen. Mit einem Essay von Monika Treut. Wien 1986; Gehrke, Claudia: Die Bedeutung der kleinen Bewegungen. In: Der Spiegel Nr. 44 vom 31.10.1988, S. 273 f.; Gehrke, Claudia und Uve Schmidt: Mein heimliches Auge. Das Jahrbuch der Erotik III. Tübingen 1988; Hein, Birgit: Vorwort. In: Cléo Uebelmann-Group: The Dominas - Mano Destra, Tübingen o.J.; Perthold, Sabine (Hg.): Frauen - Film - Schaubuch. Tübingen 1990.
[139] Vgl. Treut, Monika: Perverse Bilder. In: Krista Beinstein: Obszöne Frauen. Mit einem Essay von Monika Treut. Wien 1986.